© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Linke Selbstvergewisserung
Parteinachwuchs: Die Jusos versäumen es auf ihrem Kongreß in Berlin, über den Tellerrand zu schauen
Henning Hoffgaard

Linker, gerechter, emanzipativer, weiblicher und „queerer“ muß Deutschland werden. Zumindest wenn es nach dem Willen der Jungsozialisten geht. Die Jugendorganisation der SPD hatte am Wochenende zum dreitägigen Kongreß „Links 2011“ geladen. Und gekommen ist fast alles, was bei den Sozialdemokraten noch Rang und Namen hat. Allen voran der Parteichef Sigmar Gabriel und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit. Als Tagungsort hat man sich einen ganzen Gebäudekomplex auf dem zur Charité gehörenden „Campus Virchow-Klinikum“ gemietet. Selbstverständlich gefördert mit öffentlichen Geldern aus dem „Kinder- und Jugendplan des Bundes“.

So jugendlich wirken die 300 Nachwuchspolitiker dabei gar nicht. Die meisten sind zwar zwischen 16 und 26 Jahre alt, strahlen aber schon die Aura schwer engagierter Gesellschaftsrevoluzzer aus, die alle Probleme des Landes schultern müßten. Während vor der Tür, zum Ärger der Genossen, ein paar Mitglieder der Piratenpartei ihre Fahnen schwenken, gibt Klaus Wowereit in seiner Begrüßungsrede die Richtung vor. „Natürlich ist die SPD eine linke Partei“ und sie werde das auch immer bleiben, ruft der Regierungschef seinen Jüngern zu. Die quittieren solche Aussagen mit donnerndem Applaus. Sofort kommt er auf seinen ehemaligen Finanzsenator, Thilo Sarrazin, zu sprechen. Den jungen Leuten rät er, das „Buch dieses Menschen“ besser nicht zu kaufen. Die Schuldigen an dieser „Diffamierungsdebatte“ hat er schnell ausgemacht: „Kultur und Intelligenz“ des Landes hätten dem Störenfried Sarrazin seine Grenzen nicht aufzeigen wollen, sondern sich statt dessen auf seine Seite gestellt. Wütend resümiert er: „Die SPD hat jahrzehntelang dafür gekämpft, daß sich Politiker politisch korrekt verhalten müssen.“ Wie sich die arbeitslosen Türken bei so einer Diskussion wohl fühlen müßten, fragt er natürlich nur rhetorisch. Das Publikum könnte ihm die Antwort auch gar nicht geben. Der „Migrantenanteil“ der anwesenden Jusos liegt weit unter dem, was Wowereit etwa für die Berliner Verwaltung fordert.

Danach geht es in die erste Arbeitsphase. „Mehr Demokratie = Mehr direkte Demokratie?“ heißt eine der Veranstaltungen. Dazu hat der Referent des Vereins „Mehr Demokratie NRW“ zwei Tafeln aufgestellt, auf denen die anwesenden Jusos eintragen sollen, worüber die Deutschen denn zukünftig abstimmen dürfen und wo man das Volk besser nicht nach seiner Meinung fragt. Das Ergebnis: Abstimmen solle man über Mindestlöhne, Atompolitik, Bundeswehreinsätze und den Bundespräsidenten.

Kein direktes Mitspracherecht sollten die Deutschen bei den Themen „Minderheiten- und Religionsrechte“, Steuerfragen, Einwanderungsgesetzen, Jugendstrafen und der Bildungspolitik bekommen. Letzteres geht auf den Erfolg der Hamburger gegen das geplante Einheitsschulsystem zurück. Da ist wohl „was schiefgelaufen“ meinen die Jusos. Ein Diskutant hat dann auch gleich eine praktische Lösung parat: „Deutschland braucht mehr Rätedemokratie.“

Nach einer Mittagspause, die zum Ärger einiger keine vegane Alternative beinhaltet, geht es in die zweite Arbeitsphase. Die steht unter dem Motto „Umwelt  – Soziale Gerechtigkeit – Gleichstellung“. Besonders gut besucht ist der Workshop „Smash Homophobia“. Gekommen sind unter anderem Maria Tischbier, Ansprechpartnerin der Berliner Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, und der schwule Berliner SPD-Abgeordnete Tom Schreiber. Tischbier lobt die großen Fortschritte der Polizei, ärgert sich aber über noch immer bestehende strukturelle Diskriminierung Homosexueller und „Transmenschen“.

Schreiber immerhin kann stolz verkünden, wie der Senat erstmalig über zwei Millionen Euro in eine Kampagne gegen Homophobie investiert habe. Da Berlin jedoch weiter viele Schulden mache, könne man so etwas in Zukunft aber wohl nicht mehr durchsetzten. Für die meisten ist das kein schöner Ausklang der Veranstaltung, besonders wenn man bedenkt, daß der letzte Berliner Finanzsenator, der einen fast ausgeglichenen Haushalt vorweisen konnte, Thilo Sarrazin hieß.

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