© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Lockerungsübungen
Entlastung vom Polit-Alltag
Karl Heinzen

Der Medienkonsum der Deutschen beansprucht, so stellt eine Studie des IT-Branchenverbandes Bitkom fest, durchschnittlich neun Stunden ihres täglichen Zeitbudgets. Auch wenn zu berücksichtigen ist, daß hier Wochenenden sowie Feier-, Krankheits- und Urlaubstage eingerechnet sind und zudem Menschen in die Statistik Eingang fanden, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, dürfte diese Nachricht die Arbeitgeber unseres Landes alarmieren, da sie nur zwei Schlußfolgerungen zuläßt: Entweder schlafen die von ihnen Beschäftigten zu wenig, so daß sie ihre Pflicht vernachlässigen, die Freizeit zur Regenerierung ihrer Leistungsfähigkeit zu nutzen. Oder aber sie frönen während der Arbeitszeit heimlich dem Medienkonsum, anstatt sich mit ganzer Kraft ihren eigentlichen Aufgaben zu widmen.

Nicht minder nachdenklich müßte die Bitkom-Studie aber auch die Politik stimmen. Jeder dritte Deutsche, so eines ihrer weiteren Resultate, wird nämlich der Informationsflut, der ihn die Medien aussetzen, nach eigenem Empfinden nicht mehr Herr, und weitere 30 Prozent fühlen sich durch sie zumindest manchmal überfordert. Dem Leitbild des mündigen Staatsbürgers, der sich unter Abwägung aller Argumente seine Meinung bildet und dieser eine Wahlentscheidung folgen läßt, sind damit deutlich Grenzen aufgezeigt. Bemühungen, die Menschen am politischen Geschehen Anteil nehmen zu lassen, dürften genau das Gegenteil bewirken. Die Bürger verschließen die Ohren, weil sie nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Bar fundierter Kenntnisse geben sie sich ihrem Bauchgefühl hin, das sie mal hier-, mal dorthin treibt. Vielleicht ist ja genau dies die wahre Ursache der vielbeklagten Politikverdrossenheit: Die Bürger sind es satt, ständig mit Problemen behelligt zu werden, zu deren Lösung sie doch Abgeordnete für alle möglichen Parlamente wählen.

Regierungen und Volksvertretungen dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen, die Menschen von politischen Alltagssorgen zu entlasten. Die privaten und beruflichen wiegen bereits schwer genug. Auch der Tendenz, immer mehr Grundsatzentscheidungen durch Plebiszite bei den Bürgern abzuladen, ist Einhalt zu gebieten. Worüber es in ihnen zu befinden gilt, können letztlich nur Politiker beurteilen.

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