© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Erlebt wie erfunden
Der Kampf junger deutscher Veteranen mit der Wirklichkeit nach ihrem Auslandseinsatz
Sverre Schacht

Manchmal, wenn meine Kraft es erlaubt und ich an meine ehemaligen Kameraden denke, an andere Afghanistanveteranen und die vergessenen Kameraden aus all den Einsätzen, frage ich mich, ob es ihnen ähnlich ergeht“, schreibt Andreas Timmermann-Levanas. Der einstige Berufssoldat setzt sich in „Die reden – wir sterben“ zusammen mit der Journalistin Andrea Richter kritisch mit den Nachwirkungen seiner Einsätze in Bosnien und am Hindukusch auseinander. Schonungslos läßt er den Leser an eigenen posttraumatischen Belastungen teilhaben. Die Nachwirkungen des im Kampfauftrag Durchlebten machen dem Offizier außer Dienst noch Jahre später einen geregelten Alltag unmöglich. Er steckt an solchen Tagen wieder als Oberstleutnant im Kampf, sein Körper aber im Frieden der oft verständnislosen bundesdeutschen Wirklichkeit. Die Auslöser solcher Zustände können nichtig sein.

Anläßlich der jüngsten Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr bleibt der im Buch zur Sprache gebrachte Umgang der Streitkräfte wie der Politik mit den Heimkehrern hoch brisant. Timmermann-Levanas gibt Einblick in ein Leben, in dem Träume noch der harmlosere Teil eines Traumas sind: „Die Wäscheleine meines Traumes aber war voller blutiger Leichenteile. Ich verfluche meine Gedanken, meine Bilder im Kopf. Ich muß daran denken, daß mir ein Arzt einmal gesagt hat, ich könne nicht mit jedem Toten zusammen sterben. Ich solle mich nicht so anstellen.“ Ärzte haben oft wenig Verständnis, geschweige denn Kenntnis Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS). Das beklagt auch Daniela Matijević in „Mit der Hölle hätte ich leben können“. Die 35jährige hat wie Timmermann-Levanas aufgrund eigener Erfahrung der Probleme von Veteranen einen Veteranenverband gegründet.

Schon mit 24 Jahren geht sie in den Kosovo-Einsatz, dient dort 88 Tage als Sanitäterin und Übersetzerin. Ihre drastischen Zustandsbeschreibungen – sie berichtet von Kameraden, die Hunde essen – seien „frei erfunden“, kritisierte jüngst die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Das Kosovo sei nicht Afghanistan oder Stalingrad, auch fehlten Beweise und Zeugen, so die Kritik von Michael Martens. Unter anderem ist laut diesem Journalisten auch folgendes Matijević-Erlebnis „Quatsch mit Soße“: „Ivica war ein schmächtiger Junge von etwa sieben Jahren – dunkle Locken, pechschwarze Augen. Der kleine Kerl war von ein und demselben Mann unzählige Male mißbraucht worden. Daher lag es nahe, eine Gegenüberstellung zu initiieren ...“ – doch „in derselben Sekunde, in der Ivica mit seinem spindeldürren Ärmchen auf den Mann zeigte, griff dieser nach hinten und zog aus seinem Hosenbund einen kleinen Revolver.“ Der Junge stirbt. Zeugen für den grausigen Vorfall benennt die Autorin keine.

Im Buch argumentiert sie: „Meine Erinnerung setzt erst einen Tag später wieder ein.“ Kriegsgreuel in Gegenwart der Bundeswehr, von denen aber nur Matijević weiß – das macht stutzig. Sie beschuldigt im Internet Martens: „Der Artikel ist gelogen, nicht meine Erlebnisse!“ Ob es sich um einen Roman oder ein Sachbuch handelt, bleibt somit zweifelhaft – ganz anders als bei „Die reden – wir sterben“. Tatsächlich lesen sich Matijevićs Rückblenden spannender, mitunter reißerischer als die deutlich als solche gekennzeichneten Träume und Tatsachenbeschreibungen der Konkurrenz.

Dennoch: Wie der einstige Presseoffizier Timmermann-Levanas hat Matijević genug gesehen, um auf vielen Seiten mangelhafte psychologische Betreuung und Unverständnis bei Vorgesetzten aufzuzeigen. Gerade darum sind manche ihrer Passagen für die Anliegen der Veteranen alles andere als förderlich, so ihre Schilderung einer Brotspende seitens Einheimischer: „Ein Brot, nur für mich allein. Wie ein kleines Kind freute ich mich.“ Speziell bei dieser Art Schreckens­inszenierung gerät die von Zeitgenossen bezeugte tatsächliche Verpflegung der Truppe Matijević aus dem Blick.

Karrieresüchtige, unerfahrene Vorgesetzte und schlechte Ausrüstung stehen jedoch nicht im Zentrum beider Bücher. Den Veteranen geht es um Akzeptanz. Matijević fordert „Respekt“ seitens der Politik, vor allem ein neues Einsatz-Weiterverwendungsgesetz, das nicht per Stichtag Veteranen ausschließt – ein „Schutzschirm mit Löchern“, so Timmermann-Levanas. Statt um eine Mängelliste geht es der neuen Veteranenbewegung um das Finden einer neuen Sprache für das Erlebte. Ein Vierundsiebzigjähriger „berichtete von seinen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg. Vom Kornfeld, in dem er sich als Kind vor den Alliierten versteckt hielt. Von den Gefühlen, als er seinen Bruder und seine Mutter nach Jahren der Kriegsgefangenschaft wiedersah. Alles in allem war es, als sprächen wir dieselbe Sprache“, so Matijević.

Zumindest hier beweist sie Authentizität in der Annäherung unterschiedlicher Kriegsgenerationen. Timmermann-Levanas geht in seiner Suche nach Hilfe gegen den „Krieg im Kopf“ das Thema sachlich, mitunter mit Hilfe von aktuellen Statistiken an. Ob Behandlungsgeschichte der PTBS oder „die unbekannte Welt des Entschädigungsrechts“, er räumt mit manchem Vorurteil vermeintlich guter Versorgung auf: „Auf den Feind folgen die Formulare.“ Nach 17 Monaten des Wartens belehrt ihn das Bundesverteidigungsministerium, „es sei gar nicht entscheidend, was die Fachärzte der Bundeswehrkrankenhäuser geschrieben hätten, das habe nur ‘richtungweisenden’ Charakter“. Externe Gutachter, die ihn nicht untersucht haben, haben das letzte Wort. Einsatzerlebnisse werden teils als „nicht bewiesen“ abgelehnt. Die neuen Veteranenbücher versprechen also einen Einblick in die medial oft nur verkürzt gezeigte Wirklichkeit deutscher Kampfeinsätze.

Andreas Timmermann-Levanas, Andrea Richter: „Die reden – wir sterben“ Wie unsere Soldaten zu Opfern der deutschen Politik werden, Campus Verlag, Frankfurt 2010, broschiert, 267 Seiten, 18,90 Euro

Daniela Matijević: „Mit der Hölle hätte ich leben können“. Als deutsche Soldatin im Auslandseinsatz. Heyne Verlag, München 2010, gebunden, 240 Seiten, 19,99 Euro

Foto: Bundeswehrsoldat 2010 in der Nähe von Kunduz: „Meine Erinnerung setzt erst einen Tag später wieder ein“

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