© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Hunderte von Supererden im Visier
Das Nasa-Weltraumteleskop „Kepler“ eröffnet unendliche Perspektiven / Suche nach Anzeichen von Leben
Peter Stangl

Die Technik, die sich im „titanischen Zeitalter“ nicht mehr kontrollieren lassen werde, könnte dafür sorgen, daß es im 21. Jahrhundert „ziemlich ungemütlich“ zugehe. Die Prophezeiung von Ernst Jünger, an die jüngst die FAZ erinnerte (Ausgabe vom 30. März), dürfte seine dafür eher unempfindlichen Gäste Helmut Kohl und François Mitterand 1993 kaum erschreckt haben.

Sie zählte überdies lange vor Tschernobyl zum dezent apokalyptischen Standardrepertoire des Weisen von Wilflingen. Das Atomfeuer von Fukushima ist da nur ein weiteres Datum in der von ihm erwarteten Katastrophenchronologie. Wenn es aber immer ungemütlicher auf unserem Planeten wird, erscheinen die aberwitzigen finanziellen Aufwendungen, die US-Amerikaner und Europäer aufbringen, um im Kosmos nach „neuen Erden“ zu fahnden, nicht ganz unerklärlich. Obwohl auch in einer naturwissenschaftlichen Leitdisziplin wie der Astrophysik samt ihrer anwendungsbezogenen Transformationen in der Raumfahrt der irrationale Kern mit Händen zu greifen ist.

Denn zum einen sind deren auf Erden verwertbare technologische Erträgnisse bescheiden – wenn auch der alte Witz, die Mondlandung habe uns nur die Teflonpfanne beschert, die Realitäten etwas verbiegt. Zum anderen, so referieren Dimitar D. Sasselov (Harvard University) und Diana Valencia (Observatoire de la Côte d’Azur, Nizza) in ihrem Überblick über die aktuellen astronomischen und astrophysikalischen Forschungstendenzen (Spektrum der Wissenschaft, 4/11), wisse jeder im hochdotierten Heer der Techniker und Wissenschaftler, daß die „zweite Erde“, so sie denn gefunden wird, in unerreichbaren Fernen liegt.

Daher macht sich jedes Schielen nach dem „Nutzen“ der Suche nach extrasolaren Planeten der Milchstraße per se lächerlich. Vielmehr scheint man in den Sternwarten zwischen Pasadena und Potsdam dem neuhumanistischen Ideal der „reinen“, zweckfreien Wissenschaft nahekommen zu wollen.

Denn mehr als das Staunen des Publikums, das dem Oh und Ah einem gelungenen Feuerwerk entspräche, erwarten auch Sasselov und Valencia nicht für ihre mit Sinn fürs Sensationelle präsentierten Triumphe astrophysikalischen Forscherdranges, die wir schon bald zu gewärtigen hätten. Ist doch seit 2009 das einem riesigen Staubsauger gleichende Nasa-Weltraumteleskop „Kepler“ im All auf Planetenjagd.

Das Wunderwerk hat 150.000 Sterne nahe dem Sternbild Schwan im Visier. Es mißt deren Helligkeit, um in diesem Sternenmeer die schwächer leuchtenden Objekte als Planeten zu identifizieren. Davon seien bislang zwar erst wenige erfaßt, aber in „einigen Jahren“ würden sich die Treffer der auf Helligkeitsschwankungen eingestellten Kepler-Kamera häufen. Die Kepler-Mission werde demnächst „Hunderte von Supererden“ entdecken.

Für Sasselov und Valencia eine vergleichsweise leichte Übung angesichts dessen, was folgen muß. Denn erst die Untersuchung der Atmosphäre dieser Planeten ermöglicht es, sich an die Frage heranzutasten, ob es dort weit draußen „Anzeichen von Leben“ gibt. Erst dann wäre eine „Supererde“ wirklich die Andeutung einer „zweiten Erde“.

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