© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

Staatliche Verführung
Wirtschaftsrecht: Schuldenerlaß für insolvente Privatpersonen schon nach drei Jahren geplant
Klaus Peter Krause

Schuldner sind seit langem besser dran als Gläubiger. Das hat die Finanzkrise, die in Wahrheit eine Geldsystemkrise ist (JF 15/11), drastisch vor Augen geführt. Erstens nämlich drücken die staatlichen Zentralbanken, allen voran die US-Fed, seit Jahren die Zinsen für die Kreditaufnahme zugunsten der Schuldenstaaten und der Geschäftsbanken kräftig nach unten, damit sich die Staaten ihre immer weiter gestiegene Verschuldung überhaupt noch leisten können und damit die Konjunktur mit billigen Krediten für Unternehmen und Verbraucher angekurbelt wird, entweder weil sie lahmt oder weil sie unter Dampf bleiben soll.

Seit dem offenen Ausbruch der Krise – begonnen 2007 mit dem Straucheln zweier Hedgefonds der New Yorker Investmentbank Bear Stearns wegen Fehlspekulationen am Immobilienmarkt – sind die Leitzinsen bis dicht an die Null-Linie heruntermanipuliert worden. Zweitens wurden und werden bankrotte Banken und Staaten (in der EU unter Verstoß gegen heilige Schwüre und gesetzliche Regelungen) mit neuen Krediten herausgehauen und vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt. Griechenland erhielt den Rettungsschirm als erstes EU-Land, dann folgte Irland, jetzt Portugal. Als nächste, die den Schirm brauchen, gelten die „Wackelkandidaten“ Belgien und Spanien. Wenn es so weitergeht und weil es der Hauptzahler ist, wird am Ende Deutschland dran sein. Aber wer liefert dann den Schirm?

Schuldner also haben es in diesem System gut, Gläubiger schlecht. Wer auf der „richtigen Seite“ sein will, sollte sich folglich auch als Privatmensch verschulden. In Deutschland wird es ihm sogar noch zusätzlich erleichtert. Hier nämlich sollen nun auch überschuldete Privatleute gegenüber ihren Gläubigern begünstigt werden. Damit drängt sich die Frage auf: Wie der Staat, so jetzt auch der Bürger? Jedenfalls teilte das Bundesjustizministerium jüngst mit, die Regierung bereite den Weg für einen Mentalitätswandel im Insolvenzrecht vor. Für viele sei Insolvenz gleichbedeutend mit persönlichem Versagen und endgültigem Scheitern. Mit der mehrstufigen Insolvenzrechtsreform würden die Rahmenbedingungen so geändert, daß Insolvenz eine echte Chance zum Neuanfang biete. Der Kern dieser Botschaft: Überschuldeten Privatpersonen und Unternehmensgründern sollen künftig ihre Schulden doppelt so schnell erlassen werden wie bisher, und zwar schon nach drei Jahren. Bisher sind Überschuldete nach sechs Jahren ihre Schulden los.

Das Junstizministerium verweist darauf, daß die Verbraucherinsolvenzen 2010 auf rund 109.000 Fälle gestiegen sind. Das zeige, daß die Überschuldung privater Haushalte weiter zunehme. Aber auch kleinere Firmen gerieten häufig in finanzielle Schieflage. Das Verfahren der Restschuldbefreiung von sechs auf drei Jahre soll, wie Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am 7. April sagte, einen schnelleren Neustart ermöglichen. Im Koalitionsvertrag habe man sich darauf geeinigt. Damit werde das wirtschaftliche Potential im Interesse aller so schnell wie möglich reaktiviert, so die FDP-Ministerin.

Aber wenn man sieht, wie die „Leistungsträger“ unter den Privatleuten und die kleinen wie mittleren Unternehmer steuerlich ausgebeutet sowie mit immer mehr gesetzlichen und bürokratischen Zumutungen leistungszerstörerisch überzogen werden, wäre es weit vernünftiger, das „wirtschaftliche Potential im Interesse aller“ gerade bei ihnen zu stärken: durch weniger Gesetze, weniger Bürokratie, geringere Steuerlast. Hier sitzen die potentiellen FDP-Wähler. Bei ihnen verliert die kleine Regierungspartei mehr und nachhaltiger, als sie bei den Überschuldeten wohl zu gewinnen trachtet. Aber was kümmert die FDP noch ihre Stammklientel. Die verrät sie schon lange und immer mehr.

Doch schwer wiegt auch dies gegen die neue „Restschuldbefreiung“: Wer weiß, daß er schon nach drei Jahren seinen Gläubigern eine Nase drehen kann, und zu jenen Zeitgenossen gehört, die auf Pump zu leben geneigt und gewohnt sind, wird das Vorhaben als Geschenk des Himmels begreifen. Kurz gesagt: Diese Neuregelung ist staatliche Verführung zum Schuldenmachen. Schlimm genug ist ohnehin schon, daß der Staat sich selbst hemmungslos immer tiefer verschuldet – die im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“ hat die Bewährung in der politischen Praxis erst noch vor sich – aber daß er nun auch noch seine Bürger ermuntert, es ihm gleichzutun, ist ein starkes Stück.

Um die Zahlungsmoral ist es ohnehin nicht gut bestellt. Die Opfer sind wieder die Gläubiger: Lieferanten, Händler, Vermieter oder Handwerker. Und wenn sie es schaffen, diese zusätzliche Belastung auf ihre übrigen Kunden umzulegen, sind Opfer die Endverbraucher. Nicht der darf gestützt werden, der mit seinem Geld nicht auskommt. Es ärgert und entmutigt alle anderen, die es schaffen und die mit solchen Regelungen noch stärker in die Staatsverdrossenheit getrieben werden. Der Staat setzt die Anreize wieder einmal falsch.

Da nützt es auch wenig, wenn Leutheusser-Schnarrenberger einschränkend sagt: „Die Beschleunigung der Restschuldbefreiung kann es nicht zum Nulltarif geben. Es muß gezielte Anreize geben, möglichst viele Schulden zu begleichen, damit die beschleunigte Restschuldbefreiung auch im Interesse der Gläubiger ist. Mein Vorschlag ist, eine Restschuldbefreiung nach drei Jahren nur zu ermöglichen, wenn in dieser Zeit die Verfahrenskosten und ein bestimmter Anteil der Schulden beglichen werden.“ Zu denken sei an eine Quote von etwa einem Viertel. Erfülle der Schuldner diese Voraussetzungen nicht, solle es wie bisher erst nach sechs Jahren zur Restschuldbefreiung kommen. Aber das sind magere Voraussetzungen, Schuldenmacher werden sie schnell einplanen.

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