© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

Die Unkenntnis des Frank S.
Diplomat alter Schule: Die Rolle Ernst von Weizsäckers bei der Ausbürgerung von Thomas Mann
Thorsten Hinz

Es war nur eine Kleinigkeit, aber eine symptomatische, als im Oktober 2010 das Auftragswerk „Das Amt“ andeutete und die FAZ heraustrompetete, daß eine Depesche Ernst von Weizsäckers, seinerzeit deutscher Botschafter in der Schweiz, 1936 die Ausbürgerung des Schriftstellers Thomas Mann ins Rollen gebracht hätte. Zwei deutsche Königsfamilien des 20. Jahrhunderts, deren Ambitionen miteinander karambolierten! Welch ein Skandal! Welch ein Roman mit klarem Gut-Böse-Kontrast! Doch stimmt er mit der Wirklichkeit überein?

Thomas Mann war im Februar 1933 zu einer Vortragsreihe über Richard Wagner ins Ausland gereist. Der Terror nach dem Reichstagsbrand hielt ihn von der Rückkehr ab. Für die nächsten Jahre wurde Küsnacht am Zürichsee der Lebensmittelpunkt der Familie. Mann verzichtete auf politische Bekundungen und bemühte sich um die Verlängerung seines Passes. Seine Bücher durften weiterhin in Deutschland erscheinen, zuletzt 1936 der Roman „Joseph in Ägypten“. Die deutschen Behörden lagen unterdessen im Streit, wie mit ihm zu verfahren sei. Die einen wollten ihn ausbürgern, andere ihn zur Rückkehr nach Deutschland bewegen. 1936 kam der endgültige Bruch.

Den Anstoß gab ein Artikel des Publizisten Leopold Schwarzschild, der am 11. Januar 1936 in einer Pariser Emigrantenzeitschrift behauptet hatte, die deutsche Literatur sei seit 1933 komplett ausgewandert. Außerdem bezichtigte er Gottfried Bermann-Fischer, den Leiter des S. Fischer-Verlags, in dem auch die Bücher Thomas Manns erschienen, der NS-Kollaboration.

Thomas Mann, Hermann Hesse und Annette Kolb wiesen in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) die „sehr bösartige Kritik“ an Bermann-Fischer zurück, und der Literaturredakteur Eduard Korrodi spottete: „Ausgewandert ist doch vor allem die jüdische Romanindustrie und ein paar wirkliche Könner und Gestalter von Romanen.“ Zum Beweis nannte er Gerhart Hauptmann, Ricarda Huch, die Brüder Jünger und – Thomas Mann, die weiterhin in Deutschland publizierten.

Damit war Mann unfreiwillig zum Kronzeugen des Dritten Reiches geworden. Von seinen zwei ältesten Kindern gedrängt, verfaßte er einen Brief an Korrodi, der am 3. Februar 1936 gleichfalls in der NZZ veröffentlicht wurde und in eine scharfe Attacke gegen das NS-Regime einmündete: Der nationalsozialistische Judenhaß gelte nicht den Juden allein, sondern „Europa und jedem höheren Deutschtum selbst“, er sei der „Versuch einer Abschüttelung zivilisatorischer Bindungen, der eine furchtbare, eine unheilschwangere Entfremdung zwischen dem Lande Goethes und der übrigen Welt zu bewirken droht“.

Ein großartiger, ein lesebuchreifer Text zweifelsohne und eine Ohrfeige für das Regime! Doch das unternahm erst einmal gar nichts, denn es gab Dringenderes. Einen Tag nach der Veröffentlichung des Briefes wurde Wilhelm Gustloff, Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation in der Schweiz, von dem Studenten David Frankfurter erschossen. Zwei Tage später eröffnete Hitler in Garmisch-Partenkirchen die Olympischen Winterspiele. Für den August waren die Sommerspiele in Berlin angesetzt. Die Ausbürgerung des Literaturnobelpreisträgers hätte das gewünschte Harmoniebild verdorben. Hinter den Kulissen aber ging das Gezerre weiter.

In diesen Zusammenhang gehört das inkriminierte Schreiben Ernst von Weizsäckers vom 6. Mai 1936. Es beschränkt sich auf zwei Sätze, die nur das Offensichtliche referieren: Thomas Mann habe mit dem Brief in der NZZ „eindeutig gegen das Dritte Reich Stellung genommen und den bisherigen Langmut der deutschen Behörden mit höhnischen Bemerkungen bedacht“. Er stellt fest, daß damit „der Tatbestand des Artikels 2 des Gesetzes über den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. 7. 1933 (feindselige Propaganda gegen das Reich im Ausland) erfüllt sein (dürfte). Es bestehen daher diesseits keine Bedenken, das Ausbürgerungsverfahren gegen ihn nunmehr in die Wege zu leiten.“

Nach Geist und Buchstaben des Gesetzes war Weizsäcker gar keine andere Schlußfolgerung möglich. Damit hätte er höchstens Zweifel an seiner Urteilsfähigkeit und Zuverlässigkeit geweckt. Weizsäcker gehörte zu den Diplomaten alter Schule, die Hitler darin unterstützten, die Fesseln von Versailles abzustreifen, die sich aber gleichzeitig bemühten, seine destruktiven Energien einzudämmen. Das war ihm wichtiger als ein flammendes, gesinnungsethisches Bekenntnis. Da aus den deutschen Vertretungen in Paris, Prag und Wien ähnlich lautende Depeschen eingingen, ist einem unbefangenen Leser des „Amtes“ klar, daß die Depesche keine Eigeninitiative Weizsäckers, sondern die Antwort auf eine Anfrage darstellt.

Folgen für Thomas Mann hatte die Stellungnahme nicht. Dem Schriftsteller war bewußt, daß öffentliche Demonstrationen gegen das Regime auf Dauer unweigerlich zum Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft führen würden. Deshalb sah er sich beizeiten nach Alternativen um. Zu diesem Zweck sandte er Glückwünsche an Edvard Beneš, als dieser im Dezember 1935 zum Präsidenten der Tschechoslowakei gewählt wurde. Dort war bereits seinem Bruder Heinrich durch eine Gemeinde das Bürgerrecht verliehen worden.

Im Mai 1936 wurden Thomas Mann und seine Frau von Beneš auf der Prager Burg zu einem intimen Mittagessen empfangen. Am 17. November 1936 legten er nebst Familie im Konsulat in Zürich den Treueeid auf die Tschechoslowakei ab, womit er sich selber aus der Staatsbürgerschaft des Deutschen Reiches entließ. Natürlich blieb das der Gestapo nicht verborgen. Als Mann die deutschen Stellen mit zweiwöchiger Verspätung über seinen Schritt informierte und ankündigte, ihn der Öffentlichkeit mitzuteilen, mußte er feststellen, daß man ihm zuvorgekommen war und am 2. Dezember 1936 seine Ausbürgerung im Reichsanzeiger verkündet hatte: Eine symbolische Handlung, mit der das NS-Regime den Anschein der Initiative zu wahren versuchte. Rechtlich war sie, wie Thomas Mann gegenüber Schweizer Journalisten selber erklärte, ohne Bedeutung. Erst recht bedeutungslos war das Schreiben Ernst von Weizsäckers.

Was also bleibt von der Behauptung von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, daß Weizsäcker „die Ausbürgerung Thomas Manns faktisch in die Wege leitete“? Nichts außer dem Eindruck opportunistischer Geschäftstüchtigkeit und eifernder Unkenntnis.

Foto: Thomas Mann (1932): Der Literaturnobelpreisträger legte im November 1936 den Treueeid auf die Tschechoslowakei ab

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