© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/11 15. April 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Der „Girls’ day“ ist nach Auskunft des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit, zuständig für die bundesweite Koordinierung, ein Erfolg. Die Zahl der Teilnehmerinnen steigt von Jahr zu Jahr, Widerstände gibt es kaum, Exekutive, Unternehmerverbände, Gewerkschaften und Kirchen sind sich einig. Und so nutzen Mädchen zwischen zehn und fünfzehn den Tag, um nicht die Schulbank zu drücken, sondern sich in der Arbeitswelt umzusehen. Daß sie wie gewünscht vor allem technisch-naturwissenschaftliche Sparten frequentieren, ist mehr als fraglich, aber nach Umfragen soll die Einschätzung entsprechender Berufe nach dem „Girls’ day“ deutlich positiver ausfallen. Es kann dahingestellt bleiben, wie die demoskopischen Erhebungen zustande kommen, aber die Mischung aus ökonomischem Kalkül (Rekrutierung zusätzlicher, das heißt weiblicher Bewerber für Mangelberufe) und emanzipatorischer Ideologie zeitigt zumindest bedenkliche Nebenfolgen. Das in den Schulen für den nichtteilnehmenden Rest der Schüler veranstaltete „gender training“ hat etwas von Gehirnwäsche.

Die Ausstellung der Funde aus dem syrischen Tell Halaf, die das Pergamonmuseum zeigt, sind außerordentlich eindrucksvoll. Das hat natürlich auch damit zu tun, daß dieser Schatz durch die Bombenangriffe auf Berlin verloren schien und gegen alle Erwartung gerettet wurde. Jetzt kann man eine Vorstellung davon gewinnen, welche Gestalten dem Glauben der Aramäer vor 3.000 Jahren bildlichen Ausdruck gaben. Aber was man da sieht, löst kein Wiedererkennen aus, sondern ein Empfinden von: das hat nichts mit uns zu tun, das sind nicht wir. Das gilt im besonderen für die Götterbilder – selbst für die berühmte „thronende Göttin“ - mit ihren maskenhaften Gesichtern und den furchteinflößenden Augen. Man wird an die biblische Rede von „Götzenbildern“ erinnert und daran, daß alles mit Abrahams Entschluß begann, diese Welt zu verlassen.

Merkwürdiges Zusammentreffen zweier Meldungen: Das Leitwolf-Prinzip im Fußball ist tot, der neue Trainingsstil ist kooperativ und empathisch; Karl Lagerfeld über die Ursachen seines Erfolgs: „fast faschistische Methoden“ und: „Es wird nicht diskutiert.“

Zu den Merkwürdigkeiten der Statuen von Tell Halaf gehören auch die Kronen, mit denen einige ausgestattet sind. Sie haben nur entfernte Ähnlichkeit mit den üblichen Kronreifen, Zacken-, Strahlen- oder Haubenkronen, die uns bekannt sind. Man fühlt sich eher an Geweih oder Stierhörner erinnert, an den Kopfputz eines Schamanen oder uralte Fruchtbarkeitssymbolik. Eine direkte Verknüpfung mit dem Insignium des Königs liegt jedenfalls nicht nahe. Solche Entfernung vom Ursprung ist aber keine Seltenheit. Auch an der Salbung von Priester oder Herrscher läßt sich das feststellen, die wohl zurückgeht auf den Brauch der Viehzüchter, zu besonderen Anlässen mit dem Fett des Geschlachteten Haar, Körper und Kleidung einzureiben. Wenn es bei einigen schwarzafrikanischen Völkern bis in die Gegenwart üblich war, Würdenträgern ein Stück Speck auf den Kopf zu legen und sich mit Gedärmen zu behängen, mag man das als degenerative Ausdrucksform betrachten; andererseits: Religion und Brauch sind keine Fragen des guten Geschmacks.

Es wäre viel gewonnen für die politische Erziehung der Deutschen, wenn man sie überzeugen könnte, daß das Grundgesetz nicht mit den Worten „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ beginnt, sondern mit den Sätzen „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“

Der Zeitschriftenmarkt ist um eine Neuerscheinung reicher; seit einigen Monaten liegt am Kiosk das Hochglanzmagazin Fräulein aus. Ob damit tatsächlich ein weiteres, bisher unentdecktes Käufersegment angesprochen werden kann, ist zweifelhaft, noch zweifelhafter nur, daß sich die Anrede „Fräulein“ auf diesem Weg wiederherstellen läßt. Stichprobenartige Überprüfungen zeigen, daß ein erheblicher Teil der heranwachsenden Weiblichkeit nichts damit anfangen kann. Auch das darf, wer will, als Erfolg eines mit deutscher Gründlichkeit vorgehenden Feminismus werten, dem es gelungen ist, diesen angeblichen Ausdruck der Geringschätzung für eine unverheiratete Frau auszumerzen. Beneidenswert die Angelsachsen, denen – trotz des rapiden Abbaus von Nachnamen überhaupt – die „Miss“ erhalten blieb, und von meinem letzten Frankreichaufenthalt ist mir das strahlende Lächeln einer jungen Dame in Erinnerung, die uns Sehenswürdigkeiten erklärte, und auf die höfliche Frage, wie sie angesprochen werden wolle, antwortete: „Mademoiselle, natürlich.“

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 29. April in der JF-Ausgabe 18/11.

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