© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/11 22. April 2011
Hochqualifizierte als Zielgruppe Als der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration im vergangenen Jahr seinen ersten Jahresbericht vorlegte, war die Großdebatte um Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab noch nicht abzusehen. Nun legte der Rat seinen zweiten Jahresbericht mit dem Titel Migrationsland 2011 vor, und wie es nicht anders zu erwarten war, taucht darin immer wieder der Name Sarrazin auf allerdings nicht, um diesen zu loben. Nachdem das Thema Zuwanderung seit Jahren zunehmend unaufgeregt behandelt worden sei, katapultiere das Sarrazin-Buch die Debatte nun zurück in die Kampfbahnen der politischen Arena. Die dadurch erzeugte Diskussion sei selten sachorientiert, teilweise hysterisch, kulturalistisch und latent rassistisch geführt worden, beklagen die Autoren. Indessen dominiere in der Bevölkerung jedoch Migrationsrealismus, wie das Migrationsbarometer ergeben habe, teilte das neunköpfige Gremium mit, das auf eine Initiative der Mercator-Stiftung und der Volkswagenstiftung zurückgeht. Der Initiative gehören daneben sechs weitere Stiftungen an, darunter die Bertelsmann-Stiftung und die Zeit-Stiftung. Die vom Sachverständigenrat befragten Personen wünschten mehrheitlich eine Einwanderungspolitik jenseits von Apokalyptik oder von Migrationsromantik. Zwar sprachen sich 70 Prozent der Befragten für viel weniger oder etwas weniger Einwanderung von niedrigqualifizierten Ausländern aus. Das von Politikern bei Widerstand gegen Zuzugserleichterungen für Hochqualifizierte gebrauchte Argument, die Einwanderung entspräche nicht den Wünschen der Bevölkerung, sei dennoch eine empirisch nicht haltbare Luftnummer. Denn die Studie habe auch ergeben, daß 60 Prozent der befragten Einwanderer wie auch derDeutschen sich für eine stärkere Einwanderung Hochqualifizierter aussprechen, lediglich ein Drittel wünscht sich weniger Zuwanderung von Fachkräften. Für die Autoren ein Grund mehr, die auf dem Tisch liegenden Konzepte zur Reform der Zuzugssteuerung endlich umzusetzen. Doch aus Angst vor zuwanderungsskeptischen Wutbürgern hätte die Politik verschreckt reagiert und sich teilweise auf den Scheingegensatz von erleichterter Zuwanderung von Fachkräften und Weiterqualifizierung einheimischer Arbeitsloser zurückgezogen. Konkret fordern die Autoren, die Verpflichtung abzuschaffen, daß Hochqualifizierte vor der Einwanderung nach Deutschland einen Arbeitsvertrag vorweisen müssen. Wer aus Angst vor einer Zuwanderung in die Sozialsysteme nur Einwanderer mit Arbeitsvertrag zulassen wolle, dürfe sich nicht wundern, daß keine anderen kämen. Nicht alles sei planbar, Innovationen und Unternehmensgründungen könnten nicht am grünen Tisch vorausberechnet werden. Bei der befristeten Anwerbung von Fachkräften aus Drittstaaten bemängelt die Studie, daß die dazu nötige Vorrangprüfung zu lange dauere. Daher soll nach einer Frist von drei Wochen die Genehmigung automatisch als erteilt gelten, wenn die prüfende Behörde keinen anderslautenden Beschluß zustellt. Zudem fordert der Sachverständigenrat, das notwendige Mindesteinkommen von 64.800 Euro Jahresbrutto auf 40.000 Euro zu reduzieren und damit Österreich zu folgen. Weiterhin wird ein Punktesystem bei der Einwanderung zwar positiv bewertet, jedoch zunächst testweise für Berufe gefordert, in denen unzweifelhaft ein struktureller Mangel herrsche. So soll zunächst für den sogenannten MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) ein Punktesystem eingeführt werden. Wenig Kritik äußert die Studie an der Einwanderungspolitik für Niedrigqualifizierte. In Zukunft könnten Betriebe ihre Arbeitskräfte aus den EU-Beitrittsländern ohne den Umweg über die Beschäftigungsverordnung rekrutieren, verweisen die Autoren auf die Niederlassungsfreiheit ab dem 1. Mai (siehe Seite 2). Werkvertragsarbeitnehmer, Saisonarbeitnehmer, Haushaltshilfen oder Gastarbeiter würden durch Einwanderer innerhalb der EU ersetzt, bilanziert der Sachverständigenrat. Die Studie im Internet: www.svr-migration.de |