© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

Der wankende Riese
Warnschuß vor den Bug: Der Billionen-Schuldenberg der USA ist eine Zeitbombe für die Weltwirtschaft
Günther Deschner

Die Alarmsignale werden häufiger – die Einschläge kommen näher. Was über Jahrzehnte als undenkbar galt, wird jetzt ungeniert diskutiert: Die Bonität der bedeutendsten Volkswirtschaft der Welt wird angezweifelt. Schon im März hatte der weltgrößte Anleiheninvestor Pimco alle US-Staatsanleihen abgestoßen – und inzwischen wettet er sogar aktiv gegen die Papiere. Der Internationale Währungsfonds (IWF) ging sogar so weit, die USA mit dem Fast-Pleitestaat Griechenland zu vergleichen. Und als sich vor drei Wochen Demokraten und Republikaner im US-Kongreß mit harten Bandagen über den laufenden Etat und die Frage stritten, ob und wie lange die Tätigkeit der US-Regierung noch finanzierbar sei, wurde der ganzen Welt vor Augen geführt, wie desolat es um die Finanzen der einzig verbliebenen Weltmacht steht.

In der Osterwoche hat die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) den bislang lautesten Warnschuß in Richtung Washington abgefeuert: Die New Yorker Bonitätsrichter haben den Ausblick für die Staatsschulden der USA von stabil auf negativ herabgestuft. S&P hat zwingende Gründe für die schlechtere Bewertung der USA: Deren hohes Haushaltsdefizit des laufenden Jahres beträgt 1,5 Billionen Dollar, die Staatsverschuldung hat die 14-Billionen-Marke längst überschritten und wird im Mai nahezu die Höhe des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen. Sogar Portugals Staatsverschuldung liegt mit 90 Prozent des BIP noch niedriger. Die gesetzliche Schuldenobergrenze von 14,29 Billionen Dollar ist damit fast erreicht. Verschärfend kommt hinzu, daß der Kongreß aufgrund des wachsenden Defizits bis zum 16. Mai eine weitere Anhebung der Schuldengrenze per Gesetz beschließen muß. Andernfalls kann die US-Regierung ab Mai ihre Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen. Die USA leben noch deutlicher über ihre Verhältnisse als die Pleitekandidaten der EU. Das Außenhandelsdefizit der USA erreichte 2010 fast 500 Milliarden Dollar. Trotz dieser kritischen Lage gelten die USA zwar noch immer als kreditwürdig und behalten einstweilen sogar ihr „Triple A“, doch könnte sich dies schon in naher Zukunft ändern. Denn die Herabstufung von „stabil“ auf „negativ“ bedeutet eine Wahrscheinlichkeit von mindestens einem Drittel, daß das Bonitätsrating der USA innerhalb der nächsten zwei Jahre tatsächlich gesenkt wird und Amerika damit den Status, ein „Top-Schuldner“ zu sein, verliert.

Darin liegt auch ein vernichtendes Urteil über die US-Politik. Denn was S&P hier vorgenommen hat, ist weniger eine ökonomische als vielmehr eine politische Analyse. Erstens: Das Risiko ist angesichts der völlig gegensätzlichen und festgefahrenen Positionen sehr groß, daß sich Demokraten und Republikaner auf keinen gemeinsamen Finanzkurs einigen können. Zweitens: Damit wird wahrscheinlich, daß erst die Kongreß- und Präsidentschaftswahlen vom Herbst 2012 Klärung bringen. Ein nachhaltiger Sparplan könnte so im besten Fall erst ab dem Budgetjahr 2014 implementiert werden. Und drittens: Selbst wenn sich doch eine Seite durchsetzen sollte, sind schwerwiegende politische Kontroversen vorprogrammiert. Das könnte die Durchführung konkreter Maßnahmen – und noch mehr ihre erhofften Auswirkungen – noch Jahre verzögern, und spätere Mehrheiten könnten einen Kompromiß wieder über den Haufen werfen.

Zweifelt die Ratingagentur daran, daß die USA fähig sein werden, ihre Billionen-Schulden zu begleichen? Nicht unbedingt. S&P verweist selbst auf den wichtigsten Unterschied zwischen den USA und allen anderen Ländern: Der US-Dollar ist nach wie vor Reserve- und Transaktionswährung für die ganze Welt. Eine Herabstufung im Jahr 2013 aber, daran lassen die Bonitätswächter keinen Zweifel, würde die Rolle des Dollar als internationale Leitwährung „in Frage stellen“. Andere Experten, wie der internationale Wirtschaftsprüfer und Autor Siegfried Boeder, formulieren es noch deutlicher: „Eine Herabstufung der USA ist das Ende des Dollars als Leitwährung.“

Ein einerseits unvorstellbares und doch realistisches Szenario – eine gravierende Machteinbuße jedenfalls, vielleicht sogar der mögliche Anfang vom Ende als dominierende Weltmacht. Solange der Dollar globale Leitwährung ist, zahlt die Welt immer mit – ob für den US-Immobiliencrash oder den weltweiten Handel mit zwielichtigen Finanzprodukten, ob für einen maßlosen (schuldenfinanzierten) Konsum oder für die mit unglaublichen Kosten fürs US-Militär verbundenen imperialen Attitüden.

Seit 1941 führt Amerika fast ohne Unterbrechung Kriege – manche hat es selbst schlicht vom Zaun gebrochen. Gemäß ihrer Doktrin „Second to none“ (eindeutig an erster Stelle) zu sein, ist es den USA seit ihrem Eingreifen im Ersten Weltkrieg gelungen, eine souveräne Imperialmacht und inzwischen einzige Supermacht mit über 700 Militärbasen in 135 Ländern zu sein. Und das muß auch vom Rest der Welt mitfinanziert werden.

Wenn die USA ihr Schuldenproblem nicht lösen – ob mit eisernen Sparprogrammen, mit Änderungen im Steuersystem, durch Zurückfahren der einzigartig hohen Militärausgaben – dann ist das nicht nur ein internes Problem für Amerikas Wohlstand, sondern es kann auch weltweit zu neuen Verwerfungen führen. Amerikas Staatsschulden, zu denen sich die 40 Billionen Dollar privater Schuldner addieren, sind eine tickende Zeitbombe für die globale Wirtschaft, ähnlich der Finanzkrise von 2008, die ebenfalls in den USA ihren Ursprung hatte. Die angedrohte Senkung des „AAA“-Ratings der USA sendet deswegen Wellen rund um den Globus. Die Absetzbewegungen sowohl privater als auch staatlicher Anleger aus dem Dollar und aus US-Schatzbriefen (Hauptgläubiger ist China) zeigen, daß das Vertrauen in die Vereinigten Staaten einer sich beschleunigenden Erosion ausgesetzt ist.

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