© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

Politik der kleinen Schritte
Österreich: Bisher galt Michael Spindelegger als „graue Maus“ – nun soll er die konservative ÖVP retten
Carl Gustav Ströhm jr.

Lange galt Außenminister Michael Spindelegger in der österreichischen Politszene als „graue Maus“. Nun soll er die konservative Österreichischen Volkspartei (ÖVP) retten. Nachdem sein Vorgänger Josef Pröll aus gesundheitlichen Gründen all seine Ämter niedergelegt hatte, wurde der 51jährige im Hauruckverfahren einstimmig zum Parteivorsitzenden gewählt.

Doch der neue Vizekanzler in der Großen Koalition mit den Sozialdemokraten übernimmt ein schweres Erbe, denn die ÖVP befindet sich zur Zeit in einer tiefen Krise. Vor allem die Korruptionsanschuldigungen gegenüber Ex-Innenminister Ernst Strasser und der EU-Abgeordneten Hella Ranner machen der Partei zu schaffen. Auch das schlechte Wahlergebnis bei der Wiener Landtagswahl im Oktober 2010, bei der die ÖVP mit 13,2 Prozent abgeschlagen hinter SPÖ (44,3 Prozent) und FPÖ (27 Prozent) landete, sowie die aktuellen Umfragewerte, die die ÖVP bei 21 Prozent sehen, sprechen nicht unbedingt für die Regierungspolitik der Konservativen. Um so bezeichnender ist es, daß gerade Michael Spindelegger der Kanzlerhoffnung Pröll nachfolgt.

Während Pröll immer als unangenehmer Koalitionspartner der Sozialdemokraten (SPÖ) galt und zudem als großer Reformer angesehen wurde, will sein Nachfolger vorerst weniger wagen und befindet sich schon auf „großkoalitionärem Kuschelkurs“, indem er unter anderem in einem Fernsehinterview den Kanzleranspruch für seine Partei zu stellen vergaß. Die Politik der kleinen Schritte – eine Anlehnung an Merkels Politik in Deutschland – statt der großen Reformen soll jetzt in der ÖVP gefahren werden. Dies zeigte sich unter anderem bei seinem ersten Treffen mit Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), in dem man vor allem die gemeinsame Regierungsarbeit in den Vordergrund stellte und diese der Öffentlichkeit gegenüber auch gut vermarkten will. Zwar besteht noch Einigkeit in der Regierung, doch seit geraumer Zeit herrscht in Österreich eine hitzige Diskussion über den Wehrdienst, in der ÖVP und SPÖ völlig verschiedene Ansichten vertreten. Während die Volkspartei auf einer Beibehaltung der Wehrdienstzeit beharrt, will die SPÖ ein Berufsheer aufbauen. Spätestens hier wird sich zeigen, ob Spindelegger auch die Interessen seiner Partei vertreten kann, ohne sich von seiner Politik der kleinen Schritte zu entfernen.

Des weiteren sorgte die Vorstellung der neuen Regierungsmannschaft um den Vizekanzler für Aufregung. Grund ist der erst 24jährige Sebastian Kurz, der den neugeschaffenen Posten des Staatssekretärs für Integration im Innenministerium besetzen wird. Kurz fiel vor allem während des Wiener Wahlkampfes auf, als er Jugendliche vor Wiener Diskotheken mit der Aufschrift „Schwarz macht geil“ aufforderte, die ÖVP zu wählen, oder sich mit halbnackten Frauen für eine 24-Stunden-U-Bahn in Wien einsetzte.

 Die Opposition, vor allem die FPÖ, beurteilt den neuen Posten des Staatssekretärs für Integration sehr kritisch. Während FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache von einem „Linksruck“ spricht, kritisiert FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky die Einsparung des Familiensekretariats, der die Einrichtung eines eigenen Integrationsstaatssekretariats gegenübersteht. Vilimsky wertet dies als „fatales Zeichen für die Neuausrichtung der ÖVP“.

Foto: Michael Spindelegger: Der neue ÖVP-Chef zeigt sich siegessicher

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