© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

Das etwas andere Ägypten
Besuch in der Oase Siwa: Im Touristenparadies täuscht das Bild von 1.001 Nacht / Muslime führen ein hartes Regiment
Billy Six

Sie schwärmen von einem exotischen Ort inmitten der Sahara. Dattelpalmen und antike Ruinen. Die Oasenstadt Siwa im äußersten Westen von Ägypten ist ein Geheimtip für Ägyptenreisende. Solange die Touristen in ihren Hotels residieren und die teuren Geländefahrten in die beeindruckenden Wüstendünen machen, sind sie willkommen. Die etwa 25.000 Einwohner brauchen das Geld aus dem fernen Westen. Eine kulturelle Beeinflussung nicht.

Die Enklave kann mit Fug und Recht als eine der konservativsten islamischen Gegenden in Ägypten beschrieben werden. Aller Islam-Romantisierung zum Trotz. Die wenigen Frauen, die auf der Straße zu sehen sind, tragen eine Ganzkörperverschleierung. Koptische Christen wie im Niltal gibt es in Siwa nicht.

Das Gesetz schreiben hier die Scheichs, sagt die örtliche Polizei. Um die Zukunftschancen der jungen Mädchen in dieser Umgebung sorgt sich das schwedische Ehepaar Ingela und Peter Hoegberg. Sie finanzieren mit viel Liebe ein Projekt, das die rudimentäre Grundausbildung mit Privatunterricht ergänzen soll. Noch bevor die Töchter mit 17 oder 18 Jahren verheiratet werden, arbeiten sie in einem zentralen Arbeitszentrum – und fertigen Stofftaschen, Teppiche und Schmuckutensilien an.

Parallel dazu soll nun auch Wissensvermittlung stattfinden, wenn es nach den beiden Schweden im Fast-Rentenalter geht, die nur sporadisch vorbeischauen. Seit fünf Jahren bemühen sie sich um greifbare Erfolge. Zu Beginn war selbst der Besuch in der staatlichen Bildungseinrichtung mit enormen Problemen verbunden, erzählen sie. Es endete gar mit einer zeitweisen Verhaftung. „Das lag aber am paranoiden Polizeistaat von Hosni Mubarak“, meint Bezirksbürgermeister Mahmoud Abdelaziz, der zum Gespräch mit seinen ausländischen Gästen gleich ein paar Präsente mitgebracht hat.

Als die Gäste weg sind, wird er offener. „Ich werde Allah um Verzeihung bitten müssen, einer fremden Frau die Hand gegeben zu haben – die wirtschaftlichen Zwänge führen ab und zu zur Sünde.“ Er wünscht sich einen islamischen Staat in Ägypten, meint aber, daß es dazu nicht kommen werde. „ Die ägyptische Gesellschaft ist nicht bereit dafür.“ Er meint die Existenz von bis zu acht Millionen Kopten in Ägypten.

Aber auch eine latente Abneigung gegen die Landsleute aus dem Niltal schimmert dabei durch. Die Einwohner Siwas sind Berber – keine Araber. Sie sprechen ihre eigene Sprache und halten wenig von Entscheidungen in Kairo. Außer jener, daß der langjährige Präsident nicht mehr am Ruder ist.

 Es erscheint merkwürdig, daß in den Gesichtern der Einwohner Siwas kein Lächeln zu sehen ist. Beeindruckte Wüstenreisende sprechen von einer „höflichen Zurückhaltung“. Am Lagerfeuer zwischen Lehmhäusern und Palmen sagt der Ortsansässige Abdullah mit erhobenem Zeigefinger, daß sein Koran die Tötung von Ungläubigen erlaube. Da er jedoch ein gütiger Mann sei, würde er nicht danach handeln. Dies täten nur die Ungebildeten. Unfälle eben. Er ist Touristenführer in Siwa – seit 35 Jahren.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen