© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

Zeichen des Himmels
Rekordverdächtiges Tempo: Papst Johannes Paul II. am 1. Mai in Rom seliggesprochen
Paola Bernardi

Die Welt hielt für kurze Zeit den Atem an, als alle Kirchenglocken von Rom am 2. April 2005 den Tod von Papst Johannes Paul II.  und das Ende seines 26jährigen Pontifikats verkündeten. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich um den ganzen Globus die Nachricht, daß der Heilige Vater in seinen päpstlichen Privatgemächern nach langem öffentlichen Leiden erlöst worden war. In aller Welt wurden die Fernseh- und Radiosendungen unterbrochen, und ein nie gekanntes Schweigen breitete sich sogar über die Straßen und Plätze von Rom aus; die Menschen verstummten für kurze Zeit.

Als am Morgen seiner Totenmesse der schlichte Holzsarg des Papstes aus dem Schatten des Petersdomes getragen wurde, wurde der Petersplatz, der normalerweise etwa 300.000 Personen faßt, zur gewaltigsten Bühne eines Welttheaters: Vier Millionen Menschen hatten sich versammelt, um die kirchlichen Begräbnisfeierlichkeiten mitzuverfolgen. Atemlos und mit Tränen in den Augen nahmen die Gläubigen Abschied von ihrem Papst, von Karol Wojtyla.

Als Kardinal Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI., am Ende seiner Festpredigt sagte: „Jetzt steht unser geliebter Vater am Fenster des Vaterhauses und segnet uns von dort“, da wurde er von einem unbeschreiblichen Jubel unterbrochen. „Ja, segne uns, Santo Padre!“ rief Ratzinger über die gläubig versammelte Menge. Und aus der Tiefe schallte ihm ein Chor entgegen und die ersten Spruchbänder wurden hochgehalten: „Santo subito!“ – Heiligsprechung sofort!

Keine Tränen mehr, sondern plötzliche Heiterkeit, Jubel und Klatschen in der Menge. Als dann auch noch ein unerwarteter Windzug in diesem Moment den Himmel aufbrach und die Blätter des Meßbuches des toten Papstes, das als einziger Schmuck auf dem kargen Sarg lag,  aufblätterten; die Fahnen und Flaggen von Hunderten von Nationen sich aufblähten, die roten Roben der Kardinäle und die schwarzen Schleier der Damen hochwirbelten, da glaubten selbst Zweifler, ein Zeichen des Himmels gesehen zu haben. Kein Regisseur hätte diesen Moment besser inszenieren können.

Gestorben war ein Mann, der als eine der einflußreichsten Führungspersönlichkeiten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert in die Geschichte eingehen wird. Er war „ein Petrus, ein Fels, an dem man sich festhalten und unter Umständen auch stoßen konnte“ (Kardinal Kasper).

Der seit 455 Jahren erste Nichtitaliener auf dem Stuhl Petri, der als 58jähriger nach dem kurzen Pontifikat von Johannes Paul I. in Rom angetreten war, wurde zur Ikone einer säkularisierten Welt. Über 26 Jahre entfaltete dieser Papst eine missionarische Reisetätigkeit bis in die entlegendsten Winkel der Welt. Dieser Pontifex war immer ein großer Publikumsmagnet: Hunderttausende, vor allem junge Menschen, vermochte er zu mobilisieren. Seine Messen unter freiem Himmel wurden zu Events wie bei einem Popstar.

Dieser polnische Papst hat durch die Förderung der Dissidentenbewegung Solidarnosc in seiner Heimat Polen zweifellos nicht nur zum Zusammenbruch des polnischen Kommunismus beigetragen, sondern er wurde somit auch der Wegbereiter für die Überwindung des Kalten Krieges. Auch deshalb wurde er 1981 das Opfer eines vermeintlich vom Kreml in Auftrag gegebenen Mordanschlags, unter dessen Folgen er bis zu seinem Tode gelitten hat.

Niemand zweifelte daran, daß dieser Papst einmal in den Stand der Seligen beziehungsweise Heiligen erhoben werden würde. Daß es jedoch so rasch gehen würde und Papst Johannes Paul II. nun bereits am 1. Mai dieses Jahres in Rom seliggesprochen wird, rief unter kirchlichen Würdenträgern auch Verwunderung hervor. Normalerweise darf der Seligsprechungsprozeß überhaupt erst frühestens fünf Jahre nach dem Tod der betreffenden Person eingeleitet werden. Papst Benedikt XVI. jedoch verkürzte diese Frist. Es erfolgte eine detaillierte Untersuchung des Lebens und Wirkens von Johannes Paul II., und die Kongregation für Selig-und Heiligsprechungen sowie die Stellungnahme einer Ärztekommission anerkannte auch ein „Wunder“, das der Fürsprache Johannes Pauls zuzuschreiben ist. Es geht dabei um die „wundersame Heilung“ der an Parkinson erkrankten und fast schon bewegungsunfähigen französischen Ordensfrau Marie Simon-Pierre Normand.

Während in Polen die Glocken läuteten und Freudentränen vergossen werden, daß Karol Wojtyla nun Polens Nationalheiliger wird, werden unterdessen auch die Bedenken, die aus den höchsten Kardinalskreisen aus dem Vatikan kommen, publik. Zu den Kritikern dieser „überschnellen“ Seligsprechung gehört unter anderem Kardinal Carlo Maria Martini, der frühere Erzbischof von Mailand, der heute in Israel lebt, aber immer noch großen Einfluß auf das religiöse Leben in Italien hat. Er gab zu bedenken, daß durch die zahlreichen Reisen des Pontifex in alle Welt die Geschäfte und die innere Führung der Weltkirche vernachlässigt worden seien.

Auch Kardinal Angelo Sodano, der langjährige „Außenminister“ im Vatikan, hatte sich gegen diese rasche Seligsprechung  gewehrt, obwohl er von Papst Johannes Paul II. menschlich und persönlich sehr überzeugt ist. Doch er machte mit seinen Bedenken geltend, daß seit Jahren die Seligsprechungs-Prozesse von Pius XII. und Paul VI. im Gange sind und daß daher diese Eile bei Johannes Paul II. nicht gerechtfertigt sei.

Wieder andere Einwände kirchlicher Würdenträger beziehen sich auf Widersprüchlichkeiten dieses Papstes: einerseits sein Einsatz für Reformen und Dialog in der Welt und andererseits der unter seiner Verantwortung vollzogene innerkirchliche Rückfall in zentralistische Strukturen. Obwohl er selber Konzilsteilnehmer gewesen sei, habe Johannes Paul II. viele Fenster und Türen in der Kirche geschlossen, die im Zweiten Vatikanischen Konzil so vielversprechend geöffnet worden waren, lautet der Vorwurf der Kritiker.

 Einer der großen Schatten, der sich nun nachträglich über dieses Pontifikat legt, ist die langjährige Verwobenheit des Papstes mit den Legionären Christi (einer katholischen Ordenskongregation päpstlichen Rechts) und deren Gründer Pater Marcia Maciel. (1920–2008). Ihm wird schwerer Mißbrauch von Kindern, Jugendlichen und Frauen vorgeworfen. Angeblich sei der Papst informiert gewesen. Dies wiederum bestreitet der zuständige Präfekt für die Selig- und Heiligsprechungen, Angelo Amato. Er erklärte, der Papst habe nichts vom Doppelleben Maciels gewußt.

Die Erklärung für diese schnelle Seligsprechung wird von Beobachtern im Vatikan unter anderem mit dem starken Druck der polnischen Kirche, deren Einfluß aus Wojtylas Zeiten bis heute noch mächtig ist, begründet. Im Fadenkreuz steht insbesondere der jetzige Kardinal und Erzbischof von Krakau, Stanislaw Dziwisz, der langjährige Sekretär des Papstes. In den letzten Jahren während der Krankheit des Papstes, hatte er sich zur großen Führungsfigur in der Kurie aufgeschwungen, sehr zum Mißfallen vieler im Vatikan. Bis heute hat er das Tagebuch von Papst Johannes Paul II. an das vatikanische Archiv nicht herausgerückt, bewahrt es für sich. Und jetzt ist auch bereits die erste Reliquie des Pontifex aufgetaucht, eine Ampulle von Blut. Dziwisz hatte sie seinerzeit in der Klinik Gemelli in Rom, in die der Papst immer wieder eingeliefert wurde, bestellt. Der polnische Kardinal will in Krakau eine Wallfahrtskirche bauen lassen.

In den nächsten Tagen sind die Augen aller katholisch Gläubigen zunächst jedoch auf Rom gerichtet. Am heutigen Freitag soll der Marmorsarg Johannes Pauls II. in die Krypta des Petersdomes vor das Petrusgrab gebracht und am Morgen des 1. Mai in die Basilika vor den Papstaltar überführt werden. Nach einer öffentlichen Ausstellung des Sarges finden die sterblichen Überreste ihre endgültige Ruhestätte in der wenige Meter von Michelangelos Pieta entfernten Sankt-Sebastian-Kapelle.

Foto: Papst Johannes Paul II. (1920–2005): Nach 455 Jahren war Karol Wojtyla der erste Nichtitaliener auf dem Stuhl Petri

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