© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

Zeitschriftenkritik: Spiegel Geschichte
Eine preußische Familie
Marcus Schmidt

Wenn die deutsche Geschichte im vergangenen Jahrhundert etwas anders verlaufen wäre, würde Deutschland im Sommer eine kaiserliche Hochzeit ins Haus stehen, die vermutlich selbst die an diesem Wochenende in London stattfindende Vermählung im britischen Königshaus in den Schatten stellen würde. Doch das vergangene Jahrhundert lief für die Hohenzollern – vorsichtig ausgedrückt – ziemlich katastrophal. Neben ihrer Macht, der preußischen Königs- und der deutschen Kaiserkrone verlor die Familie auch fast ihren gesamten Besitz.

Und so wird die Hochzeit des Chefs des einstigen Herrscherhauses, Prinz Georg Friedrich, mit seiner Verlobten Prinzessin Sophie von Isenburg am 27. August in der Friedenskirche in Potsdam wahrscheinlich nur bei den einschlägigen Blättern der „Yellowpress“ Beachtung finden. Die Vergangenheit der Preußendynastie findet in diesem Jahr dafür um so mehr Interesse, kann das Haus 2011 doch auf 950 Jahre Geschichte zurückblicken.

Zum Jubiläumsjahr widmet daher auch Spiegel Geschichte dem einstigen Herrscherhaus unter dem Titel „Die Hohenzollern“ ein Themenheft. Der bunt bebilderte Geschichtsüberblick bietet auf knapp 150 Seiten meist flott geschriebene Geschichtshäppchen. Lesern, die mit der preußischen Geschichte bislang wenig in Berührung gekommen sind, bietet das Heft einen guten Überblick über die wichtigsten Stationen des Aufstiegs des schwäbischen Adelsgeschlechts zum preußischen Königshaus und zu Deutschlands erster Familie: Von den sandigen Anfängen in Brandenburg über den Alten Fritz bis hin zu Kaiser Wilhelm II. Natürlich darf auch ein Stück über die schöne und legendenumrankte Königin Luise („Die schöne Patriotin“) nicht fehlen.

Auffällig ist das Bemühen der Blattmacher, die Themen massenkompatibel zuzuspitzen und notfalls auf Krawall zu bürsten. So wird etwa schon auf der Titelseite unter der Überschrift „Sex-Skandal“ eine Geschichte über „Orgien im Schloß“ angekündigt. Dahinter verbergen sich sehr abseitige Episoden aus dem Umfeld des kaiserlichen Hofes am Ende des 19. Jahrhunderts, die über die Geschichte der Hohenzollern herzlich wenig aussagen. Und der differenzierte Beitrag des Chemnitzer Historikers Frank-Lothar Kroll über Kaiser Wilhelm II., der den in den vergangenen Jahren zu beobachtenden Kurskorrekturen bei der Einschätzung Wilhelms II. Rechnung trägt, wurde mit der reißerischen Dachzeile „Macht- und Größenwahn“ versehen.

Was dem Heft fehlt, ist ein Interview mit Prinz Georg Friedrich, der als Chef des Herrscherhauses heute immerhin Anspruch auf die preußische Königs- und die deutsche Kaiserkrone erheben könnte. Aber ein solches Gespräch wäre dem Spiegel vermutlich zu gewöhnlich gewesen. So kommt denn sein Onkel Prinz Friedrich Wilhelm zu Wort, der mit Georg Friedrich im Rechtsstreit um das Erbe liegt und den Spiegel-Redakteuren auch noch einen passenden Satz liefert: „Ich bin ein Republikaner.“

Kontakt: Spiegel-Verlag, Brands-twiete 19, 20457 Hamburg. Das Einzelheft kostet 7,50 Euro. www.spiegel.de

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