© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/11 29. April 2011

Neue religiöse Ideen
Von egalitären Zuständen entfernt: Eine Ausstellung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe widmet sich der „Jungsteinzeit im Umbruch“
Martin Voelkel

Man hat für das Plakat der Karlsruher Ausstellung über die Michelsberger Kultur einen Stierschädel auf einer Stange gewählt. Das wirkt archaisch und martialisch, und beides ist gewollt, denn das, was da im Badischen Landesmuseum gezeigt wird, hat mit einem Abschnitt der historischen Entwicklung zu tun, der so weit entfernt ist, daß er für den Menschen der Gegenwart fremd sein muß. Allerdings wurden von Archäologie und Vorgeschichtsforschung so viele Erkenntnisse gesammelt, daß man wenigstens die Konturen einer Epoche erkennen kann, die sich im Umbruch befand und von gewaltsamen Auseinandersetzungen mitbestimmt war.

Ein Indiz dafür ist schon die Lage der Hauptfundstätte der Michelsberger Kultur, der Michaelsberg bei Bruchsal, der zwischen 4600 und 3600 vor Christus als befestigter Platz diente. Es handelt sich um ein „Erdwerk“, dessen Funktion jedoch nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden kann. Die Interpretationen schwanken zwischen Wehranlage, Kultplatz oder Viehkral. Fest steht immerhin, daß zur Zeit seiner Entstehung die Abgrenzung eines Territoriums schon als bedeutsam galt, und der Stierschädel wie auch die in Karlsruhe gezeigten Menschenschädel, an denen man Befestigungsreste gefunden hat, um sie auf Stangenspitzen zu setzen, dienten sicher als Symbol, vielleicht als Ausdruck des Triumphs oder als Apotropäum, das heißt als abwehrendes Sinnbild: „Seht her, was dem droht, der mit uns anbindet.“

Die Michelsberger Kultur, die bis nach Ostfrankreich und Mähren ausstrahlte und die Nachbarkulturen, die gleichfalls Thema der Ausstellung sind, liefern viele Indizien dafür, daß die Endphase des Neolithikums eine Zeit dramatischen Wandels war. Abgesehen von den erstaunlich intensiven Handelskontakten und den revolutionären Veränderungen im Bereich der Technologie (Erfindung von Rad, Wagen und Pflug, Beginn der Metallbearbeitung, vor allem des Kupfers) gibt es auch Indizien für tiefgreifende gesellschaftliche und ideologische Neuerungen.

Mit Interpretationen muß man angesichts der Beschränkung der Relikte auf eine relativ kleine Zahl und vorwiegend anorganisches Material vorsichtig sein. Hinzu kommt im Fall der Michelsberger Kultur noch die Schwierigkeit, daß bisher kaum Gräber identifiziert werden konnten. Trotzdem darf man aus dem späteren Aufkommen von Hortfunden mit Metallgegenständen und der Verbreitung rein repräsentativer Stücke – etwa die kunstvollen, aber unbrauchbaren Prunkäxte aus Jadeit – schließen, daß die soziale Ordnung sich immer stärker differenzierte. Ein Sachverhalt, für den auch der Bau der Michelsberger und ähnlicher Anlagen spricht, die nur als Gemeinschaftsleistung unter Anführern verwirklicht werden konnten.

Jedenfalls lassen die Indizien kaum einen anderen Schluß zu, als den, daß die neolithische Gesellschaft sich sehr weit von egalitären Zuständen entfernt hatte, wie man sie noch für die Frühzeit des Menschen annehmen kann. Zugleich darf man eine Reihe von Überresten als Anhalt für das Entstehen neuer Glaubensvorstellungen betrachten.

Zwar ist es aufgrund fehlender Schriftzeugnisse unmöglich, sichere Urteile zu fällen, aber die Funde sprechen doch dafür, daß die älteren, vor allem auf Mütterlichkeit und Fruchtbarkeit gerichteten religiösen Ideen durch neue abgelöst wurden, in deren Zentrum Männlichkeit und Zeugungskraft standen. So steht man gleichermaßen beeindruckt wie irritiert vor den erhalten gebliebenen Wandteilen, aus denen weibliche Brüste hervorragen, und wird unmittelbar danach mit einer Fülle von Stücken konfrontiert, an denen sich der Mentalitätswechsel deutlich ablesen läßt: Waffen, Insignien, kriegerischer Schmuck.

Der letzte Raum der Karlsruher Ausstellung stellt eine Verknüpfung mit der anschließenden Entwicklung her, die ihren Anfang im „fruchtbaren Halbmond“ nahm, jenem vorderorientalischen Gebiet, in dem sich als Folge der „Neolithischen Revolution“ die Bedingungen für die Entstehung von Städten und dann von Staaten gebildet haben. Daß von dort weitere Impulse kamen, ist gewiß.

Wesentlich weniger gewiß ist die Aufrechterhaltung der alten These vom Kulturtransfer ex oriente. Hatte man bisher angenommen, daß alle entscheidenden Erfindungen im Osten gemacht und dann wahrscheinlich durch Kolonisierung verbreitet wurden, ist die Forschung heute nicht nur überzeugt, daß in manchen Fällen – etwa Rad und Wagen – der Gebrauch in Europa sehr viel früher einsetzte als bisher geglaubt, sondern auch, daß die Kenntnis neuer Kulturtechniken eher durch die „Netzwerke“ der Führungsschichten zu erklären ist, als durch massenhafte Migration.

Die Ausstellung „Jungsteinzeit im Umbruch“ ist noch bis zum 15. Mai im Badischen Landesmuseum (Stadtschloß Karlsruhe) täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr, zu sehen. Der sehr empfehlenswerte Katalog kostet 24,90 Euro. Telefon: 07 21 / 9 26 65 14 www.landesmuseum.de

Foto: Bemalte weibliche Brust aus Lehm aus Ludwigshafen, 3867–3861 v. Chr., Jadeitbeile aus Mainz-Gonsenheim, 5000–4000 v. Chr.

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