© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Die SPD in der Sarrazin-Falle
Paul Rosen

Als Thilo Sarrazin im vergangenen Herbst sein inzwischen 1,5 Millionen mal verkauftes Buch „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlichte, machte sich im Berliner Regierungs- und Parlamentsviertel diese gewisse Wohligkeit breit. Alle – von Union bis Linkspartei – waren sich einig: „Das darf der nicht.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel fand das Buch „nicht hilfreich“, Bundespräsident Christian Wulff rief die Bundesbank, wo Sarrazin seinerzeit noch tätig war, zu Konsequenzen auf, die mit dem Ausscheiden des Bundesbankers auch prompt gezogen wurden.

Die politisch-mediale Kaste hatte mit Sarrazin ein Opfer gefunden, das es zum Richtplatz zu schleppen und zu liquidieren galt. Zur „Hinrichtung“ gehörte auch sein geplanter Ausschluß aus der SPD. Sarrazin habe „eine rote Linie überschritten“ und argumentiere teilweise „rassistisch“, befand SPD-Chef Sigmar Gabriel und beantragte den Ausschluß Sarrazins aus der Partei. Sarrazin teile nicht den „Grundkonsens“ der SPD und solle sie so schnell wie möglich verlassen, urteilte Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit, der gerne von Toleranz spricht, jedenfalls solange es darum geht, daß seine eigene Meinung toleriert wird.

Nicht bekannt ist, wie viele Briefe die SPD-Zentrale von „Wutbürgern“ der besonderen Art erhalten hat – nämlich altgedienten und jungen SPD-Mitgliedern, die nicht akzeptieren wollten, daß man in der Partei nicht mehr seine Meinung sagen darf. Es müssen etliche Waschkörbe gewesen sein. Gabriel und seine Generalsekretärin Andrea Nahles beschlich das Gefühl, sich mit dem Antrag auf Parteiausschluß nicht nur von demokratischen Grundsätzen, sondern auch sehr weit von der eigenen Basis in den Ortsvereinen überall auf dem Land entfernt zu haben.

Es kam, wie es kommen mußte. Das Schiedsgericht der SPD ließ gegenüber Nahles wohl durchblicken, daß Meinungsfreiheit zu den hohen Gütern des demokratischen Rechtsstaates gehört und die schwarz-grün-rote Gutmenschenrepublik keine rechtliche Relevanz hat. Nahles zog den Ausschlußantrag zurück, Sarrazin mußte eine nichtssagende Erklärung abgeben, daß er niemanden habe verletzen wollen, und gut war es. Wer meinte, die Veranstaltung sei damit zu Ende, sah sich allerdings getäuscht.

In den Medien wurde jetzt die „Basis“ der SPD zitiert, die entsetzt sei, daß Sarrazin in der Partei bleibe. Eine „Berliner Erklärung“ wurde im Internet veröffentlicht (JF 18/11). Es fiel auf, daß sich öffentlich SPD-Mitglieder vom Unterbezirksvorsitzenden an aufwärts äußerten, die von Austrittsdrohungen sprachen – also die Funktionärskaste. Die taz schrieb von einer Austrittswelle aus der SPD, blieb aber Zahlenangaben schuldig.

Sarrazins Rechtsbeistand, der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, sagte zu den herbeigeredeten und herbeigeschriebenen Massenprotesten deutliche Worte: „Das sind nur ein paar Leute, darunter einige Schwadroneure, das sollte man nicht überbewerten. Es würden viel mehr Parteimitglieder austreten, wenn die SPD Sarrazin ausgeschlossen hätte.“

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