© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

Wie die Union rechte Parteien verhindert
Merkels Monopol
von André Freudenberg

Daß freier Wettbewerb nicht immer segensreich ist, davon können viele Verbraucher ein Lied singen. In der deutschen Lebensmittelbranche indes funktioniert die Marktwirtschaft hervorragend: Günstige Preise, hohe Qualität und ausgesprochene Vielfalt machen den Einkauf immer wieder zum Erlebnis. Doch dann stelle man sich einmal vor, die Konsumenten hätten nicht die Wahl zwischen Netto, Aldi, Penny, Kaufland, Spar und Lidl, sondern müßten mit nur einem einzigen Anbieter vorliebnehmen, der alle seine Mitbewerber erfolgreich vom Markt gedrängt hätte.

Die Preise wären unverschämt hoch, und Bedürfnissen der Kundschaft käme er, wenn überhaupt, nur äußerst widerwillig nach. Die Geschäftsführung könnte sich das leisten, weil Alternativen nicht mehr vorhanden wären. Lediglich der Anbau im eigenen Garten dürfte ein wenig Abhilfe verschaffen. Die Kunden würden permanent über ungesunde Kost und ständige Preiserhöhungen schimpfen, einkaufen müßten sie dort aber weiterhin.

Gottlob ist dies bislang eine reine Fiktion geblieben. Der Staat sieht es schließlich – ausgehend von dem ordnungspolitischen Ziel der Schaffung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes – als eine seiner vornehmsten Aufgaben an, Preisstabilität bei funktionierendem Wettbewerb zu erhalten. Dies ist aber nur möglich, wenn der Kunde eine Vielzahl von Anbietern und damit Alternativen hat, also in einer polypolistischen Marktsituation. Produktauswahl und Qualität können zwar nicht amtlich verordnet werden, aber der Staat garantiert die Rahmenbedingungen, innerhalb derer solche Ziele realisierbar sind.

In einem politischen System hat man es mit ähnlichen Erscheinungen zu tun. Auch hier kann von einem Wählermarkt gesprochen werden. Die Parteien als Anbieter „verkaufen“ politische Ideen und Programme, die sie dann umzusetzen versprechen. Der nachfragende Wähler bestimmt dann an der Wahlurne, wie groß der Anteil an Macht und staatlichem Geldsegen ist, der dem jeweiligen Anbieter zukommt. Bei einer freien Wahl soll der mündige Bürger – analog zum freien Markt – die Auswahl zwischen mehreren Angeboten haben, denn nur so besteht die Möglichkeit, Fehlverhalten zu sanktionieren, Anstrengung zu belohnen und somit insgesamt zu besseren Lösungen zu gelangen.

Generell soll der einzelne Bürger die Vertretung für sich finden, die seinen politischen Grundüberzeugungen am ehesten entspricht. Auf dem politischen Markt hat das im Idealfall zur Folge, daß die eigenen Vorstellungen und Wünsche angemessen im politisch-medialen Raum repräsentiert sind. Dazu reicht es aber nicht aus, daß irgendein Angebot für jeden auf dem Wahlzettel steht.

Es muß sich auch um eine erfolgversprechende Option handeln. Dies setzt aber wiederum zwingend voraus, daß neu hinzutretende Wettbewerber nicht behindert und somit künstlich kleingehalten werden, weder durch den Staat (Wahlrecht, Verfassungsschutz) noch durch (meist etablierte) Mitbewerber. Doch wie in kaum einem anderen Bereich besteht hier eine starke Diskrepanz zwischen normativer Theorie und politischer Praxis, zwischen Anspruch und Realität.

Faktisch trifft man hierzulande aber auf Strukturen, die von einer starken „Kartellisierung“ und „Oligarchisierung“ gekennzeichnet sind. Man denke hierbei nur an die Privilegierung etablierter Parteien durch Paragraph 18 Bundeswahlgesetz oder die Auflistung der Parteien auf den Stimmzetteln nach zurückliegenden Wahlerfolgen. Erschwerend kommt hinzu, daß dem „Kartellparteiensystem“ ein rechtsdemokratisches Korrektiv fehlt, das, wie Josef Schüßlburner betont, dem „Ehernen Gesetz der Oligarchie“ (Robert Michels) entgegenwirken würde.

Die Union könnte theoretisch in dieses Vakuum stoßen, ist dazu aber weder willens noch in der Lage. Ihr geht es einzig und allein darum, ihr Monopol im nichtlinken Bereich zu sichern, ähnlich wie der oben erwähnte Lebensmittelanbieter in seiner Branche. Meist ist in diesem Zusammenhang von der sogenannten Strauß-Doktrin die Rede, nach der es „rechts“ von der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe.

Dieser Alleinvertretungsanspruch beinhaltet zunächst eine normative Komponente, die eigene Nabelschau sozusagen, den Blick nach innen. Dies mündet in den Versuch der Erschließung neuer Wählerschichten, aber auch in regelmäßig wiederkehrende Aufforderungen an die Parteispitze, doch wieder etwas mehr konservatives Profil zu zeigen und „das konservative Denken wieder [zu] entdecken“ (Alois Glück).

Nun gibt es gegen ein Bemühen um seine eigene Wählerschaft überhaupt nichts einzuwenden, wäre dies nicht mit dem Anspruch verbunden, potentielle Konkurrenz von rechts auch aktiv zu bekämpfen, insbesondere wenn sie droht, erfolgreich zu sein. Daß die Union davor nicht zurückschreckt, zeigt eine Äußerung des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich vom August 2010: „Mit Sicherheit werden wir alles dafür tun, daß sich rechts von der CDU keine neue Partei gründet.“

Wie setzt die Union ihr Machtmonopol durch? Zu beobachten ist, daß sich die Christdemokraten bei der Wahl ihrer Mittel vom Ziel – der Marginalisierung der neu auftretenden Konkurrenz – leiten lassen. Eine subtile Methode besteht in der offenen oder verdeckten Abwerbung von Personal mit dem Ziel, fähige Köpfe von der Konkurrenzpartei fernzuhalten. Sehr raffiniert ist auch die Umarmungs- oder Umklammerungstaktik. Hierbei wird die rechte Konkurrenz koalitionär eingebunden, um selbst an die Macht zu gelangen. Was vordergründig nach Akzeptanz aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als hinterhältiges Machtspiel. Bestes Beispiel bot die „Bürgerblock-Koalition“ aus CDU und Schill-Partei in Hamburg.

Wenn die „sanfte“ Methode nicht fruchtet, geht man zu offener Bekämpfung über. Bekannte Funktionäre der eigenen Partei, die bereit sind, sich bei Veranstaltungen mit der Konkurrenz sehen zu lassen, werden in Einzelgesprächen unter Druck gesetzt, bis sie ihr Vorhaben aufgeben. Auf diese Weise konnte Alfred Dregger 1995 dazu gebracht werden, einer Podiumsrunde fernzubleiben, die vom damaligen Vorsitzenden des Bundes Freier Bürger, Manfred Brunner, moderiert werden sollte.

Es ist auch schon vorgekommen, daß die Partei mit dem C im Namen Wirten gedroht hat, Räumlichkeiten nicht mehr zu buchen, falls dort weiterhin auch Tagungen der Republikaner stattfinden dürfen. Sofern sich die Konkurrenz zumindest auf lokaler Ebene festsetzen konnte, waren sich auch Christdemokraten nicht zu schade, die „Faschismuskeule“ zu schwingen oder „Geschäftsordnungstricks“ anzuwenden. Der Umgang mit Kommunalvertretern von Pro NRW spricht hier Bände.

Nun tröstet sich mancher konservative Wähler seit Jahrzehnten damit, daß es ja noch die CSU gibt, die sich selbst ein wenig „rechts“ von der CDU verortet. Wenn es auch kaum Gründe gebe, die CDU zu wählen, so glaubt mancher, dann doch wenigstens den, die CSU zu stärken. Der CDU-Nachwuchspolitiker Philipp Mißfelder betonte auf dem letzten Deutschlandtag der Jungen Union, die Bayernunion habe die Aufgabe, „für die Union insgesamt die Lufthoheit über den Stammtischen zurückzugewinnen“. Die CSU sei und bleibe „der Garant dafür“, daß rechts von der CDU keine demokratisch legitimierte Partei entstehe.

Hier wird deutlich, worum es eigentlich geht, nämlich um eine noch effektivere Absicherung des eigenen Machtmonopols. Wäre es anders, dann müßten die Bayern ihre Schwesterpartei sehr viel deutlicher von „rechts“ kritisieren und vor allem eine bundesweite Ausdehnung der CSU zulassen. Genau das findet aber nicht statt, weder inhaltlich noch strukturell: Bei der traditionellen CSU-Klausur im Dezember 2010 wurde gerade nicht Thilo Sarrazin eingeladen, sondern mit Margot Käßmann eine seiner schärfsten Kritikerinnen.

Betrachtet man die Gründe für den Alleinvertretungsanspruch, dann geht es vordergründig natürlich um Machtfragen und die strategische Mehrheitsfähigkeit. Erwartungsgemäß würden „rechte“ Alternativen Stimmen aus dem Unionslager abziehen, ohne automatisch als Koalitionspartner zur Verfügung zu stehen. Die Union will sich das Schicksal der SPD ersparen, die mehrfach in der Geschichte durch Abspaltungen beziehungsweise Neugründungen von „links“ (USPD 1917, Die Grünen 1980, WASG/Linkspartei 2004/2007) geschwächt wurde.

Doch dies reicht für eine Erklärung allein nicht aus. Wer etwas tiefer schürft, wird erkennen, daß ein Festhalten am Alleinvertretungsanspruch auch ganz wesentlich mit der Ausdeutung deutscher Geschichte zusammenhängt. So erklärte der ehemalige hessische CDU-Ministerpräsident Roland Koch die Nichtexistenz einer starken demokratischen Rechtspartei hierzulande „aus der besonderen Geschichte Deutschlands“ und betonte: „Wir empfinden es als historische Verpflichtung, die Integration der demokratischen Rechten in einer Partei der Mitte zu leisten.“

Was steckt hinter einer solchen Formulierung? Manche mögen es so verstehen, daß die Partei den Konservativen in einer feindlichen und rauhen Umgebung Obdach bietet und sich gar geehrt fühlt. Warum werden dann aber Konservative, sobald sie dezidiert ihre Meinung vertreten, innerparteilich kaltgestellt oder gar – wie im Falle Hohmann – aus der Partei geworfen? Warum distanziert sich Koch von Sarrazins „biologistischem Weltbild“, obwohl er selbst kaum an der Vererbbarkeit von Intelligenz zweifeln dürfte?

Diese ganze Widersprüchlichkeit in den Aussagen führender Unionsfunktionäre deutet auf ein tiefes Mißtrauen gegenüber einem offensiven Konservatismus hin, der immer noch unter dem Generalverdacht steht, an der nationalsozialistschen „Machtergreifung“ mitschuldig zu sein. Deshalb dürfe es in Deutschland nie wieder eine Partei geben, in der Konservative tonangebend sind. Damit es dazu nicht komme, müßten sie eingebunden, „neutralisiert“, bevormundet und diszipliniert werden.

Rechtfertigen läßt sich ein solcher Umgang nicht, da historisch gesehen auch anderen politischen Kräften der Weimarer Republik Versagen vorzuwerfen ist und die „rechten Gegner Hitlers“ (Claus-Martin Wolfschlag) einen signifikanten Teil der Widerstandsbewegung gegen das NS-Regime bildeten. Geradezu bösartig ist es, der heutigen demokratischen Rechten eine derartige Regime-Nähe zu unterstellen.

Unter machtpolitischen Gesichtspunkten handelt die Union in gewisser Weise rational, wenn sie ihre Monopolstellung verteidigt. Doch die steigende Zahl jener, die die Union nicht mehr als ihre politische Heimat betrachten, kann diesen Machtanspruch nur als Affront gegen sich empfinden. Die Partei der Sozialen Marktwirtschaft sollte den Konservativen endlich den Marktzutritt erlauben und sie nicht als potentielle Gefahr betrachten. Dazu gehört, ihnen die Entscheidung, wie sie sich parteipolitisch organisieren möchten, selbst zu überlassen. Langfristig wird sich dadurch auch der Handlungsspielraum der Union vergrößern. An der SPD und ihrem Umgang mit Linkspartei und Grünen kann sie sich ein Beispiel nehmen.

 

André Freudenberg, Jahrgang 1972, studierte Politikwissenschaft und Journalismus und ist nebenberuflich als Autor tätig.  Sein Buch „Freiheitlich-konservative Kleinparteien im wiedervereinigten Deutschland“ erschien 2009.

Foto: „Angie Bulldozer“: Alles rechts von der CDU wird in die Extremisten-Ecke geschoben

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