© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/11 06. Mai 2011

Der Flaneur
Im GorbitzerBiergarten
Josef Gottfried

Bei diesem Wetter hat der Gorbitzer Krug die Bierbänke draußen aufgestellt, am frühen Abend ist es immer noch warm und sonnig. Ich setze mich zu den anderen Gästen. Die äußere Erscheinung der gutgelaunten Herrschaften entspricht dem Klischee von Sozialhilfeempfängern und Frührentnern. Sie schnattern, lachen und trinken.

Fast alle rauchen. Sie bemerken mich, schauen aber nicht weiter. Ich bestelle bei der vietnamesischen Bedienung ein Radeberger. In der „Happy Hour“ kostet der halbe Liter einen Euro. Ich wundere mich kurz darüber, daß es kein Glas dazu gibt: Sie drückt mir die Flasche in die Hand, ich stelle es selbst auf einen der alten, hundertfach benutzten Bierdeckel.

Als Neu-Gorbitz vor 30 Jahren aus dem Boden gestampft wurde, schienen die Stadtplaner an alles gedacht zu haben: Nachschub, Aufenthalt, Erholung, Fertilität, Geselligkeit, Apotheken. Und was es alles so gibt. Knapp 40.000 Menschen genossen den Umstand, daß sie die Parzelle nicht mehr verlassen mußten, um ihre Notdurft zu verrichten. Heute wohnen weniger als 20.000 hier, einige Platten sind schon wieder geschliffen.

Ein junger Mann in Arbeitskleidung, 22 vielleicht, geht an uns vorbei. Er sieht dreckig und müde aus, hat eine Plastiktüte mit vier Menüs von der Imbißbude in der Hand. Er war wohl an der Reihe, das Essen zu besorgen. Er geht breitbeinig, kurz bevor er den Biergarten passiert, dreht er seine Schultern wie ein Boxer von vorn nach hinten, die Pose eines heftig Streitenden, kurz bevor eine Schlägerei auszubrechen droht.

Bei ihm hat das aber nicht diesen ganz aggressiven Impetus, es ist eher gelangweilt und verächtlich. Er scheint einen der Gäste zu kennen, nickt ihm kurz zu. Dann begegnen sich unsere Blicke, weil ich ihn fast unverhohlen anstarre. Mir scheint, als blicke er auf mich herab.

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