© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

Rechtslage in der Türkei
Wider die Verniedlichung
Klaus Hornung

Das derzeitige Klima in der Türkei gleicht den Verhältnissen in George Orwells Buch ‘1984’. Denn das Vorgehen unserer Regierung unterscheidet sich nicht im geringsten davon, wie Big Brother in seinem Angstimperium die Gedankenpolizei in Gang setzt, um Gedanken zu zerstören. Der Polizeistaat steht nicht nur vor unserer Tür, er hämmert mit dem Rammbock dagegen.“

Das sind die Eingangssätze eines Vortrags, den eine prominente türkische Juristin in Deutschland hielt. Emine Ülker Tarhan war bis März dieses Jahres Oberste Richterin in Ankara und Präsidentin des Verbandes der Richter und Staatsanwälte in ihrem Land. Aus Protest gegen die derzeitige Welle an Verhaftungen von Schriftstellern und Intellektuellen trat sie zurück. Sie will im Juni bei der Parlamentswahl für die Opposition kandidieren.

Der Vortrag enthält eine Fülle von Beispielen, wie derzeit die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei von der herrschenden islamistischen Regierung mit Füßen getreten wird. Die rechtswidrige Telefonabhörung ist gang und gäbe. Richter des Verfassungsgerichtshofes werden in der regierungsnahen Presse mit ihren Fotos an den Pranger gestellt, wenn sie der Regierung nicht willfährig sind.

Gleiches geschah den Richtern des Obersten Verwaltungsgerichts, als sie Kopftücher an den Universitäten für unzulässig erklärten. Es sind auch schon Richter einfach verschwunden. Die Justiz im Lande Erdogans ist nicht mehr unabhängig. Auf Weisung der Regierung und an der Justiz vorbei ermittelt die Polizei entsprechend einseitig und willkürlich.

Bekanntlich neigt man gerade in Deutschland zur Verniedlichung der Situation in der Türkei.  Besonders verbreitet ist diese Haltung unter den von Multikulti träumenden grünroten Linken. In keinem anderen Land wäre es möglich, daß der türkische Ministerpräsident sich wie ein Gauleiter aufführt, wenn er vor über zehntausend seiner fahnenschwingenden Landsleute in einer Düsseldorfer Veranstaltungshalle spricht und dabei behauptet: „Egal was die anderen sagen, ihr seid meine Staatsbürger.“

Frau Tarhans Bericht widerlegt die Verniedlichung. Möglichst rasch sollten auch die laufenden Verhandlungen über den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union gestoppt werden, bevor es zum Harakiri Europas kommt.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.

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