© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

„Eine patriotische liberale Partei“
Liberalismus geht auch anders: In Dänemark zeigt Venstre, wie man erfolgreich nationale Politik macht und damit Wahlen gewinnt
Moritz Schwarz

Herr Arzrouni, die FDP liegt in Umfragen nur noch bei vier Prozent und würde nicht mal mehr in den Bundestag kommen. „Venstre“ dagegen erzielte bei der letzten Wahl zum Folketing fast 29 Prozent. Was ist das Geheimnis der dänischen Liberalen?

Arzrouni: Zum einen zählt Venstre traditionell zu den dominierenden Parteien in Dänemark, es ist also keine Partei am Rande des politischen Spektrums, sondern sie kommt direkt aus der Mitte des Volkes. Zum anderen war die Partei stets in der Lage, sich zu erneuern. 

Zum Beispiel?

Arzrouni: Zum Beispiel haben sich die dänischen Liberalen der Einsicht gestellt, daß man vor den Folgen von Einwanderung und Multikulturalismus nicht die Augen verschließen kann.

Vor Jahren noch war das, wie in Deutschland, ein Tabu für die etablierte Politik.

Arzrouni: Ja, aber die Partei hat eingesehen, daß darüber nicht mehr länger geschwiegen, sondern öffentlich gesprochen werden muß.

Heute stellen die Liberalen etwa den Integrationsminister Søren Pind, der mit seiner restriktiven Integrationspolitik von sich reden macht (JF 19/11).

Arzrouni: Moment, Pind ist ein wahrer Liberaler. Er war etwa einer der ersten, der ein Burka-Verbot abgelehnt hat.

Er spricht offen von „Assimilation“, ein Wort, das ein FDP-Politiker niemals in den Mund nehmen würde.

Arzrouni: Er spricht davon, weil es nicht genug ist, wenn Integration nur Eingliederung in den Arbeitsmarkt bedeutet. Es gibt hierzulande so manchen Einwanderer, der fließend Dänisch spricht, fleißig lernt und arbeitet, aber dennoch nicht gesellschaftlich ankommen will. Der lieber illiberal und vormodern bleibt, die westliche Gesellschaft haßt und sich nach einem Kalifat Europa sehnt. Es geht Pind also darum, daß der Einwanderer auch ein guter dänischer Bürger wird. Denn viel zu lange gab es diesen Werterelativismus in der dänischen Gesellschaft: Die Auffassung unserer politischen Elite war, jeder könne privat nach seiner Façon selig werden, denn das habe keine Auswirkung auf die Gesellschaft. Heute dagegen ist klar, daß Subkulturen sehr wohl Einfluß haben. Manche sind etwa entscheidend dafür, ob Kinder sich in unsere Gesellschaft eingliedern oder nicht.

Die dänischen Liberalen haben nicht nur knapp 29 Prozent im Parlament, sie sind zudem stärkste Partei und stellen den Ministerpräsidenten. Was würden Sie Ihrer Schwesterpartei in Deutschland, die auf dem Parteitag in Rostock den Neuanfang schaffen will, für einen Rat geben?

Arzrouni: Zum Beispiel ebenfalls das Tabu Einwanderung und Multikulturalismus zu überwinden. Man muß verstehen, daß es dabei nicht etwa um Ausländerfeindlichkeit geht, sondern um Freiheit: Um die Freiheit, offen über die Dinge zu sprechen. Und es geht um Fakten. Denn man kann seine eigene Meinung haben, aber nicht seine eigenen Fakten. Die Deutschen haben doch eine große Tradition der wissenschaftlichen Analyse, also sollte es ihnen doch eigentlich leichtfallen, die Tatsachen auch in dieser Frage nüchtern und ohne ideologische Scheuklappen zu diskutieren.

Daß dies in Dänemark heute möglich ist, ist das Verdienst der Dänischen Volkspartei, die in Deutschland allerdings als „rechtspopulistisch“ und „ausländerfeindlich“ gilt.

Arzrouni: Es hilft doch nichts, sich die Decke über den Kopf zu ziehen. Man muß verstehen, daß der Aufstieg der Volkspartei Folge von gesellschaftlichen Mißständen ist. Man macht es sich folglich zu einfach, wenn man sie nur als altmodischen Nationalismus im neuen Gewand betrachtet. Sie ist vielmehr Symptom für ignorierte Probleme. Die Liberalen waren bereit, diese Botschaft zu verstehen. Deshalb verschließt Venstre heute nicht mehr die Augen davor, daß es Parallelgesellschaften gibt oder daß ein großer Teil unserer Kriminalität auf verfehlte Einwanderung zurückgeht.

Die FDP würde wohl versuchen, eine solche Partei auszugrenzen. Wie ist dagegen das Verhältnis der dänischen Liberalen zur Volkspartei?

Arzrouni: Das folgt einem Modus der zwischen Rhetorik und Realität unterscheidet. Die Regierung billigt der Volkspartei zu, daß diese schreit und schimpft, aber sie muß schließlich in der Sache bereit sein, nach der Formel quid pro quo Zugeständnisse zu machen: Etwa muß die eher sozialdemokratische Volkspartei für Restriktionen bei der Einwanderung im Gegenzug ökonomischen Reformen zustimmen. Natürlich: Vor allem sind es solche Reformen, die in Beziehung zur Einwanderung stehen. Denn, man muß zugeben, daß es leichter ist, soziale Leistungen zu reduzieren, wenn verstärkt Ausländer davon profitieren. Es ist zynisch, aber es ist so.

Sie waren lange Mitglied der Liberalen, sind allerdings selbst ausländischer Herkunft, Ihr Vater war Einwanderer. Fühlen Sie sich in einer solchen Partei denn wohl?

Arzrouni: Absolut, ich bin Christ, halte die Familie hoch und bin auch sonst Anhänger der dänischen Kultur. Daß ich seit kurzem meine Parteimitgliedschaft ruhen lasse, liegt allein daran, daß sich dies nicht mit meiner neuen Stelle bei einer Börsenzeitung verträgt.

Deutsche Medien schreiben: „In Dänemark regiert die Volkspartei zwar nicht, bestimmt aber die Richtlinien der Politik.“ Haben die Liberalen in Abgrenzung zur Volkspartei überhaupt eine eigene Einwanderungspolitik?

Arzrouni: Natürlich. Sicher muß man sagen, daß sich beide Parteien in der Analyse der Probleme nahe sind, aber nicht in der Frage der Methoden, um sie zu lösen. Es ist wichtig, daß Venstre eigene, liberale Lösungen für das Problem anbietet.

Nämlich?

Arzrouni: Früher kamen zum Beispiel viele Einwanderer, die lediglich ihren Angehörigen nachzogen, etwa Ehefrauen ohne Ausbildung und ohne Ambitionen sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das Profil unserer Einwanderung hat sich also geändert, denn heute kommen vor allem Leistungsträger. Und das haben wir erreicht, in dem wir etwa verlangen, daß Einwanderer auch eine Beziehung zu Dänemark aufbauen.

Und erst wenn sie hier bereits Jahre erfolgreich gelebt haben, bekommen sie Zugang zu Sozialleistungen.

Gut, aber wo ist der Unterschied zur Politik der Volkspartei?

Arzrouni: Während die Volkspartei die Einwanderung mittels Regulierungen  dämpfen will, versuchen die Liberalen dies durch ökonomische Reformen zu erreichen. Also durch Anreize beziehungsweise das Gegenteil davon zu steuern, statt durch Vorschriften zu bestimmen.

In Deutschland betrachtet man Liberalismus und eine restriktive Einwanderungspolitik meist als Widerspruch – Restriktion könne per se nicht liberal sein.

Arzrouni: Moment, unsere Einwanderungspolitik ist nicht restriktiv! Schauen Sie sich doch die Zahlen an: Dänemark hat heute mehr Einwanderer als je zuvor. Was anders ist, ist die Art der Einwanderung: Restriktiv sind wir lediglich gegenüber jenen, die kommen, um nur vom dänischen Sozialsystem zu profitieren. Auf der anderen Seite sind wir aber sehr, sehr offen für alle, die zu uns kommen, um ehrlich zu arbeiten oder als Studenten zu lernen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ meint, daß „Dänemark (heute) das fremdenfeindlichste Land in Europa ist“.

Arzrouni: Mit Verlaub, Journalisten die so etwas schreiben, sind ihr Geld nicht wert. Ich wiederhole: Einwanderer die wirklich hier leben wollen, sind willkommen. Nur solche nicht, die eigentlich gar nicht dazu bereit sind.

Die FDP setzt Liberalismus mit Kosmopolitismus gleich. Hat sie da nicht auf ihre Weise recht?

Arzrouni: Ich glaube, daß die dänischen Liberalen nicht weniger weltoffen sind, als die deutschen. Søren Pind etwa wuchs in der Schweiz auf und spricht fließend Französisch, Ministerpräsident Rasmussen ebenfalls. Was die Deutschen vielleicht nicht verstehen, als Liberaler kann man sich sehr wohl für die Welt interessieren, ohne die Liebe zu seinem Land zu vernachlässigen. Venstre versteht sich also durchaus als eine patriotische Partei. Wenn man etwa einen Parteitag besucht, wird man dort alles mit der dänischen Flagge geschmückt vorfinden, so wie das bei uns in Dänemark üblich ist. Denn wir Dänen lieben unsere Fahne, im Winter verzieren wir damit unseren Weihnachtsbaum und im Sommer hissen wir sie in unseren Vorgärten. Aber das ist kein aggressiver Patriotismus, sondern ein Patriotismus der Herzen: Liebe, nicht Haß!

Die FDP versteht sich dezidiert als „Partei der Mitte“. Venstre dagegen heißt übersetzt „Links“, die Partei versteht sich aber als „rechts“. Wie erklärt sich dieser Wirrwarr?

Arzrouni: Manche würden Venstre „Mitte-rechts“ nennen, aber ich würde sagen, sie ist klar rechtsgerichtet. Der Grund dafür, daß sie dennoch „Links“ heißt, liegt in der Geschichte. Denn bei ihrer Gründung stand sie als die liberale Partei links von den Konservativen. Der Name ist also nur ein historisches Relikt, das in Dänemark keinen mehr verwirrt.

Einerseits „rechts“, andererseits „liberal“, das gilt in der FDP als unvereinbar.

Arzrouni: Ganz im Gegenteil, das Profil Venstres ist sogar das der klassischen liberalen Partei: Für freien Markt und freies Unternehmertum, inklusive der sozialen Freiheit, so zu leben, wie man möchte. Aus diesem Freiheitsverständnis resultiert aber auch der Wunsch nach Reduktion des Sozialstaats und das Eintreten für Recht und Ordnung. Im Gegensatz zu linksliberalen Parteien ist Venstre also nicht werterelativierend, sondern fest in den dänischen Werten verwurzelt. Viele Wähler der Partei stehen für einen sozialen Konservatismus, insofern als sie dänische Traditionen als erstrebens- und bewahrenswert erachten. Allerdings gehört zur persönlichen Freiheit auch, daß Venstre etwa für Homosexuellen-Rechte oder gegen ein Burka-Verbot eintritt. Aber es wird als Bedingung verlangt, daß sich dies nicht gegen die dänische Gesellschaft richten darf.

Sie sagen, zum rechten Profil der Partei gehöre die Kritik am Sozialstaat. Allerdings sind die Liberalen bereits seit zehn Jahren an der Regierung, und Dänemark hat dennoch einen der umfangreichsten Sozialstaaten der Welt.

Arzrouni: Ja, das ist in der Tat enttäuschend. Dänemark hat unter Venstre nicht die Fortschritte gemacht, die        wir hätten machen sollen. Das Problem ist, daß der ausgeprägte dänische Patriotismus uns Dänen wenig mobil macht. Will sagen, wir sind in hohem Maße bereit, Steuern zu zahlen, weil wir uns unserem Land so sehr verbunden fühlen. Da wir es, seine Traditionen und Geschichte lieben, ziehen wir zum einen nicht weg, auch wenn es uns stinkt. Zum anderen sind die Steuerzahler in hohem Maße bereit, in den sauren Apfel zu beißen, wenn heißt: Für das Land! Die jüngere Generation allerdings ist endlich mobiler. Heute kann die Regierung den Bürgern nicht einfach noch höhere Steuern zumuten, also müssen die Ausgaben sinken. Und dazu gehört auch, die Kosten für die Einwanderung in den Sozialstaat maßgeblich zu drosseln. Andererseits ist eine Reduzierung des traditionellen Sozialstaats bei vielen Dänen nicht sonderlich populär, wie Umfragen zeigen: Wären heute Wahlen, würde Venstre nur noch 24 Prozent holen und die Regierungsmacht verlieren.

Also doch keine solche Erfolgsgeschichte?

Arzrouni: Nun, man muß das im Vergleich sehen. Wo sagten Sie, liegt die FDP in den Umfragen? Venstre hat immerhin die richtige Richtung eingeschlagen und dadurch dafür gesorgt, daß in der Öffentlichkeit ein Prozeß des Umdenkens eingesetzt hat. Nur ändern sich die Dänen leider langsamer, als Venstre mit seinen Reformen vorangeschritten ist. Ein Liberaler muß aber den Mut haben, für seine Überzeugungen einzustehen und den Machtverlust zu riskieren, um sich selbst treu zu bleiben.

Die deutschen Wähler zeigen sich tief enttäuscht von der FDP. Die Antwort der Partei, ist die Wahl einer neuen Führung am Wochenende (siehe Seite 5). Reicht das aus?

Arzrouni: Nein. Die FDP hat nach meiner Auffassung zwar ein gutes Programm, aber an was es ihr in der Tat mangelt, ist Glaubwürdigkeit. Der Grund dafür ist, daß die Partei leichtfertig Dinge versprochen hat, die sich so mit dem deutschen Sozialstaat gar nicht umsetzen lassen. Folglich konnte sie, als sie an die Regierung kam, ihre Versprechen nicht halten. Damit hat sie sich  als nicht regierungsfähig erwiesen, weil sie im Wahlkampf nicht beachtet hat, daß man, zumindest als Juniorpartner,  nur langsam und reformerisch operieren kann. Diese Vertrauenskrise kann nicht einfach durch die Wahl neuer Köpfe behoben werden. Eine Partei, die bei jeder Krise ihr Personal auswechselt, gewinnt kein Vertrauen, sondern nur eine Partei, die hält, was sie verspricht. Die einzige Chance für die FDP ist, daß die Wähler die Erfahrung machen, daß ihre Führung künftig ihre Versprechen auch umsetzt.

Venstre ist 2001 mit dem Thema Ausländerpolitik sogar die Rückkehr zur Macht gelungen. In der FDP würde es bei einem solchen Versuch wohl zur Spaltung kommen. Wie haben Sie den Paradigmenwechsel in Sachen Einwanderung geschafft, ohne die Partei in die Krise zu manövrieren?

Arzrouni: Das lag vor allem an jenem tiefen Vertrauen, von dem ich eben gesprochen habe, daß die Parteiführung genießt. Anders Fogh Rasmussen ist zweifellos ein überzeugter Liberaler, er ist in seiner Weltanschauung sicher und diese Sicherheit teilt sich der Basis und der Wählerschaft mit. Wer Vertrauen genießt, kann die Gewichtung seiner Politik ändern, ohne als Lügner, Verräter, oder Spalter dazustehen. Im Gegenteil, er ist in der Lage, die Partei „mitzunehmen“ und ist daher zu effektiver Politik fähig. Man könnte sagen, Vertrauen ist das wichtigste Kapital eines erfolgreichen Politikers. Das sollte wohl auch die neue FDP-Spitze künftig beherzigen.

 

Christopher Arzrouni der Journalist und Publizist war lange Jahre Mitglied und Berater der dänischen rechtsliberalen Regierungspartei Venstre (Partei-Logo rechts). Er arbeitete für die Parlamentsfraktion und verschiedene Ministerien und war Redenschreiber für die Parteiführung. Heute ist der ehemalige Kolumnist der Jyllands-Posten, einer der führenden dänischen Tageszeitungen, und Ex-Mitherausgeber der Wochenzeitung Weekendavisen, Redakteur der Wirtschaftszeitung Børsen. Zudem saß der Politologe im Direktorium von CEPOS, Dänemarks einziger liberaler Denkfabrik und ist Mitglied der liberalen Initiative Libertas. Geboren wurde Christopher Arzrouni 1967 als Sohn einer dänischen Mutter und eines ägyptisch-armenischen Vaters.

Venstre entstand 1870 und stellte mehrfach den Regierungschef. Zuletzt errang sie 2001 unter Anders Fogh Rasmussen mit über 31 Prozent die Macht und ist seitdem, 2005 mit 28,9 Prozent wiedergewählt, stärkste Partei.  www.venstre.dk

Foto: Liberale Krise: In Dänemark dagegen mit 29 Prozent stärkste Partei

 

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