© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

Zerstrittene Zwangspartner
Die USA und Pakistan nach der Liquidierung Bin Ladens: Trotz tief verwurzeltem Mißtrauen sind die beiden Staaten aufeinander angewiesen
Günther Deschner

Die Liquidierung von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden hat die angespannten Beziehungen zwischen Washington und Islamabad noch weiter kompliziert. Offiziell sind beide Staaten verbündet, und die USA – mit Summen im zweistelligen Milliardenbereich Pakistans größter Geldgeber – finanzieren seit Jahrzehnten die pakistanische Armee. Andererseits stellt Pakistan die für die Führung der US-Operationen in Afghanistan lebensnotwendige Nachschubroute vom Versorgungshafen Karatschi bis zum Khyber-Paß.

Doch seit einigen Jahren werfen die Amerikaner ihrem pakistanischen Verbündeten immer häufiger vor, zu zaghaft gegen Islamistengruppen und Al-Qaida-Unterstützer im eigenen Land vorzugehen. „Pakistan hat keinen robusten Plan im Kampf gegen die militanten Taliban“, hieß es im April in einem Lagebericht aus dem Weißen Haus. „Solange im Nordwesten des Landes Al-Qaida-Mitgliedern noch Unterschlupf gewährt wird, wird kein Erfolg gegen das Terrornetzwerk zu verzeichnen sein.“ Einige Politiker in den USA riefen sogar dazu auf, die Beziehungen zu der Atommacht einzufrieren.

Nach der gelungenen Militäraktion vom 1. Mai schlugen die Wellen der Empörung besonders hoch. Von außen besehen zeigte sich der Öffentlichkeit  in den Vereinigten Staaten, in Pakistan und der ganzen Welt ein kaum mißzuverstehendes Bild: US-Militär hatte in einem souveränen Staat ohne dessen Billigung eine Operation durchgeführt, die das Völkerrecht verletzte – und andererseits sah es so aus, als habe Pakistan über viele Jahre seine duldende und vielleicht sogar schützende Hand über Osama gehalten.

US-Präsident Barack Obama sagte in einem Interview, Bin Laden müsse „ein Netzwerk von Unterstützern gehabt haben“, und das sei „etwas, was die pakistanische Regierung untersuchen muß“. Regierung und Militärführung in Islamabad reagierten empört: Die Vorwürfe seien ungerechtfertigt, Pakistan zahle einen hohen Blutpreis im Kampf gegen den Terror. Die Armeeführung forderte die USA außerdem auf, die umstrittenen Einsätze von Drohnen einzustellen. Sie hätten einen „außerordentlich radikalisierenden Einfluß auf die Bevölkerung“.

In ganz Pakistan herrscht Empörung darüber, daß Washington seinen vermeintlichen Partner über die Militäroperation im unklaren ließ. Sogar der in London im Exil lebende Ex-Präsident Pervez Musharraf, der das Militärbündnis mit den USA einst eingefädelt hatte, nannte den Einsatz der Navy Seals auf pakistanischem Boden eine „gravierende Verletzung der Souveränität“ seines Landes. Auch der amtierende pakistanische Premier Jusuf Raza Gilani warnte Wa-shington vor „weiteren Alleingängen“: „Niemand sollte die Entschlossenheit und die Fähigkeiten der Nation und der Streitkräfte unterschätzen, unsere Heimat zu verteidigen.“

Daß die Erregung in Pakistan „nur Theater“ ist, wie der britische Guardian dieser Tage meinte, ist kaum zu beweisen: Unter Berufung auf einen – nicht namentlich genannten – US-Beamten berichtet das Blatt, eine vor fast zehn Jahren zwischen US-Präsident George W. Bush und dem pakistanischen Präsidenten General Pervez Musharraf getroffene Vereinbarung habe den Amerikanern erlaubt, Osama bin Laden ohne Rücksicht auf Hoheitsrechte in Pakistan zu fangen oder zu töten. „Die Pakistaner würden Zeter und Mordio schreien, aber sie würden uns nicht stoppen.“

Nach Einschätzung des pakistanischen Journalisten Sultan Hali gibt zwar die Liquidierung Osamas gute Gründe anzunehmen, daß die USA mit dem Wissen von pakistanischen Sicherheitskräften arbeiteten und so den verhaßten „Staatsfeind“ töten konnten. Das tief verwurzelte Mißtrauen zwischen beiden Regierungen sei aber nicht beigelegt worden. Doch daß die US-Politik „den teuren Pakt mit Islamabad tatsächlich aufkündigt“, glaubt im Ernst in Pakistan noch niemand.

George Friedman, Amerikas führender Kommentator in geostrategischen Fragen, hat das gerade in metallischer Klarheit formuliert: „Die Vereinigten Staaten haben Pakistans vielschichtige und mehrdeutige politische Linie seit einem Jahrzehnt nur deswegen hingenommen, weil sie es mußten, weil ihnen nichts anderes übrigblieb“, schrieb er in einer Analyse für das Stratfor-Intstitut. „Rein gar nichts in der Operation gegen Bin Laden hat an diesen geopolitischen Realitäten auch nur das geringste geändert. Solange Amerika in Afghanistan einen Krieg führen oder ihn auch nur beenden will, ist es zwingend auf Unterstützung durch Pakistan angewiesen. Die Option, mit Pakistan zu brechen, weil das Land in mancher Hinsicht gegen die amerikanischen Interessen handelt, ist nicht existent.“

Foto: Pakistanisches Militär vor Bin Ladens Anwesen in Abbottabad: Erst nach der US-Aktion zeigen die Sicherheitskräfte Präsenz

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