© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

Politischer Tsunami über Edinburgh
Regionalwahl in Schottland : Triumphaler Sieg für Unabhängigkeitsbefürworter / Britische Regierung unter Druck
Daniel Körtel

Das Ergebnis der schottischen Regionalwahl gleicht einem Tsunami, der die politische Geographie des britischen Königreichs grundlegend verändern könnte. Die Welle dieses Ereignisses hob die im 129sitzigen Edinburgher Parlament bislang einer Minderheitsregierung vorstehende linksnationale Schottische Nationalpartei SNP mit einem spektakulären Zugewinn um 23 auf 69 Sitze in die komfortable Position einer absoluten Mehrheit, während sie alle anderen Parteien unter sich begrub.

Deutliche Verluste erlitt die Labour Party, die von 44 Sitzen sieben abgeben mußte. Der Fall von 20 auf 15 Sitze dürfte für die konservativen Tories zu verschmerzen sein, da hier für sie seit der Ära der mit harter Hand regierenden Margaret Thatcher ohnehin nichts mehr zu gewinnen war. Regelrecht abgestraft wurden die Liberaldemokraten, denen die Verantwortung für die rigide Sparpolitik Londons zugeschoben wurde. Sie konnten nur noch fünf ihrer bislang 27 Sitze vor dem Wählerzorn retten. Die Grünen erhalten zwei Mandate.

Schottlands First Minister, der charismatische Alex Salmond, steht mit diesem Sieg in greifbarer Nähe seines Lebensziels: ein Referendum über den Austritt Schottlands aus dem seit 1707 bestehenden Vereinigten Königreich von Großbritannien. Salmond bekräftigte nach der Wahl sein Vorhaben, bis 2015 das schottische Volk über seine Unabhängigkeit abstimmen zu lassen.

Der Wahltag war voller historischer Ironie: Ausgerechnet Labour zählt zu seinen größten Verlierern, obwohl es der frühere britische Premier Tony Blair war, der den Schotten 1999 die Selbstverwaltung und das eigene Parlament wiedergab. Dabei waren die Labour-Verluste in ihrer einstigen Hochburg wohl weniger grobem Undank der Schotten zuzuschreiben, als neben einer chaotischen Wahlkampagne der Hinwendung der Partei zu neoliberaler Ideologie, die sie von den von starkem Arbeiter-Ethos geprägten Schotten entfremdete. Auch konnte das komplizierte schottische Wahlrecht, das eigens darauf angelegt war, die SNP einzudämmen, das Resultat nicht verhindern.

Die britischen Parteien haben den von Salmond hingeworfenen Fehdehandschuh bereits aufgehoben. Sie würden ein Referendum nicht blockieren, aber Großbritanniens konservativer Premier David Cameron kündigte an, „mit jeder einzelnen Faser“ für den Zusammenhalt des Königreichs zu kämpfen. Der Fortbestand der Union steht aber vor allem in Labours Interesse. Sollte Labour die schottischen Stimmen verlieren, stünde damit auch ihre Regierungsfähigkeit in Westminster auf dem Spiel.

Dabei ist es noch vollkommen offen, ob die Schotten der Unabhängigkeit ihres Landes den Vorzug geben würden. Der Ausgang eines Referendums hängt stark von Salmonds Popularität ab. Doch für die Regierungsarbeit der nächsten Legislaturperiode ist schon jetzt ein deutlicher Sparkurs vorgezeichnet. Nach den Jahren lockerer Ausgabenpolitik mit der Befreiung von Unterrichts- und Rezeptgebühren und der Einfrierung kommunaler Abgaben ist schottischer Geiz angesagt.

Den Wegfall der Zuwendungen aus London im Falle der Unabhängigkeit verspricht Salmond mit den Einnahmen aus dem schottischen Nordseeöl zu kompensieren und mit den kühnen Plänen, aus Schottland das „Saudi-Arabien der grünen Energie“ zu machen. Es wird also in den nächsten Jahren ein rauher Wind aus Edinburgh nach London wehen.

Zusätzlich unter Druck steht die britische Regierungskoalition aus Tories und Liberaldemokraten durch das Ergebnis des gleichfalls abgehaltenen Referendums über eine britische Wahlrechtsreform, die die Änderung des reinen Mehrheitswahlrechts in ein etwas gerechteres „Alternative Vote“-System zum Ziel hatte. Hatten sich die beiden Koalitionspartner ursprünglich noch gemeinsam auf die Vorlage geeinigt, die die Liberaldemokraten als kleinere Partei begünstigte, schwenkten die Torys dann doch in den letzten Wochen auf einen schroffen Gegenkurs um.

Nach der deutlichen Ablehnung der Vorlage durch die britischen Wähler wird das Klima in der Koalition spürbar kühler werden.

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