© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

„Gegen unseren Willen“
Das Großherzogtum Luxemburg wurde nach 1940 an das Großdeutsche Reich angeschlossen / Widerstände brach die NS-Gauleitung mit Härte
Dirk Wolff-Simon

Obgleich der jüngste Disput in der Euro-Frage zwischen Deutschland und Luxemburg eher als Petitesse gewertet werden kann, so ist das Verhältnis der Luxemburger zu ihren deutschen Nachbarn nicht ganz ohne Ressentiments. Die Ursachen hierfür liegen über siebzig Jahre zurück: Am 10. Mai 1940 wurde Luxemburg von deutschen Truppen besetzt. Trotz der erklärten Neutralität war das Land zur Vorbereitung der Angriffsoperationen im belgisch-holländischen Raum militärstrategisch als Durchgangsgebiet von besonderem Interesse. Die Fürstenfamilie flüchtete nach Großbritannien und Kanada, da man sich keiner Kollaboration mit den Besatzern verdächtig machen wollte.

In Ermangelung einer im deutschen Verständnis „kooperationsbereiten Zivilverwaltung“ wurde das Land am 6. August 1940 als Bestandteil des Gaues Moselland in das Deutsche Reich eingegliedert. Zeitgleich erfolgte auch die Eingliederung der französischen Landesteile Elsaß und Lothringen in die deutsche Zivilverwaltung. Offiziell erfolgte keine Annektierung, de facto sollte Luxemburg jedoch so schnell wie möglich im Sinne des Nationalsozialismus eingedeutscht werden. 

Als Chef der Zivilverwaltung (CdZ) hielt Gauleiter Gustav Simon seinen Einzug in Luxemburg. Neben der von ihm vorangetriebenen gesellschaftlichen Gleichschaltung wurde auch die wirtschaftliche Ausrichtung des Landes auf die deutschen Wirtschaftsstrukturen gleichgeschaltet. Bereits nach wenigen Wochen waren die Luxemburger Wirtschaftsunternehmen in die deutschen Industriekonzerne eingegliedert. Als CdZ ordnete Gustav Simon ein konsequentes Vorgehen gegen die Juden an. Wurde den verbleibenden etwa 1.800 Juden zunächst die Ausreise nach Frankreich und Spanien freigestellt, ging man im Laufe des Jahres 1941 dazu über, die jüdische Bevölkerung Luxemburgs in die Konzentrationslager nach Osten zu deportieren. Von den 683 Deportierten haben den Krieg nur 43 überlebt.

Da die Luxemburger nach nationalsozialistischem Recht keine Reichsdeutschen, sondern nur Volksdeutsche waren, konnten sie den Status als „Reichsdeutscher“ beispielsweise nur mit der freiwilligen Meldung zum Reichsarbeitsdienst (RAD), zur Wehrmacht oder zur Waffen-SS erhalten. Die Resonanz war gering, und so führte Simon im Frühjahr 1941, parallel zum Elsaß, den obligatorischen RAD ein. Luxemburger Jugendliche mußten nunmehr in den jeweiligen deutschen Arbeitslagern ihren sechsmonatigen Arbeitsdienst absolvieren. Erwartungsgemäß traf die Verordnung auf erheblichen Widerstand und etliche junge Männer entzogen sich der Dienstverpflichtung durch Flucht über die Grenze nach Belgien und Frankreich oder gingen in den Widerstand. Wurde man aufgegriffen, mußte man mit Zuchthaus oder schlimmstenfalls mit der Todesstrafe rechnen.

Im Oktober 1941 wollte Simon von den Luxemburgern schließlich ein formelles Bekenntnis zum Deutschtum erreichen. Aus diesem Grund wurde eine Volkszählungsstatistik in Auftrag gegeben, die auch Fragen zur Volkszugehörigkeit enthielt. Das Ergebnis war für die Gauleitung niederschmetternd: Nahezu 98 Prozent der Befragten gaben an, sich als Luxemburger zu sehen und lehnten die deutsche Volkszugehörigkeit ab. Unerbittlich schlug die Besatzungsmacht zu. Durch Sondergerichte wurden die Widerstandsaktionen aus der luxemburgischen Bevölkerung mit Zuchthaus und Konzentrationslager geahndet. Mehr als 300 „Resistenzler“ wurden verhaftet und in Sonderlager eingewiesen. Langjährige Haftstrafen und fast dreißig Todesurteile waren die Folge aus 875 Aburteilungen.

Im Laufe des Jahres 1942 wurde die personelle Situation für die Wehrmacht immer prekärer. Dem OKW fehlten Anfang Mai 1942 bereits 625.000 Mann. So trat das von der Luxemburger Bevölkerung Befürchtete am 30. August 1942 ein: die Verfügung der allgemeinen Wehrpflicht für die männliche Bevölkerung. Mit Inkrafttreten der Verordnung verfügte Gauleiter Simon bereits einen Tag später die Wehrpflicht für die Geburtsjahrgänge 1920 bis 1924 – ein klarer Bruch des Völkerrechts, denn nach der Haager Landkriegsordnung ist festgelegt, daß ein besetztes Gebiet nur durch einen Friedensvertrag dem Siegerstaat eingegliedert werden kann.

Der bereits schwelende Zorn gegen die deutschen Besatzer schlug nun in offenen Protest um – das kleine Land antwortete auf die Wehrpflicht mit Streik. In Wiltz, einer Kleinstadt im Norden, fing es an. Arbeiter einer Lederfabrik traten frühmorgens in den Ausstand, andere Betriebe folgten dem Aufruf aus dem Widerstand. Dem Streik schlossen sich die Arbeiter des Arbed-Werkes in Schifflingen an, dann die Bergarbeiter in den Erzgruben. Generalstreik – kein Zug fuhr mehr, die Bauern lieferten ihre Erzeugnisse nicht ab, Läden und Büros blieben geschlossen, Lehrer schickten die Schulkinder wieder heim. Das hatte es noch nie gegeben, Streik in einem von Deutschen besetzten Land.

Die Reaktion des CdZ ließ nicht lange auf sich warten. Am 1. September verhängte Simon den „zivilen Ausnahmezustand“ über das ganze Land. Standgerichte wurden eingesetzt. „Die Todesurteile des Standgerichts gegen Streikende, gleichgültig, wo sie ihren Wohnsitz haben, werden sofort durch Erschießen vollstreckt“, heißt es in einer amtlichen Bekanntmachung des Gauleiters Simon. Einundzwanzig Todesurteile wurden ausgesprochen, 125 Menschen kamen in Haft. Die Verurteilten wurden in den frühen Morgenstunden erschossen. Ihre Angehörigen erfuhren die Namen von den blutroten Plakaten an Wänden und Litfaßsäulen.

Die Durchsetzung der Wehrpflicht wurde dadurch nicht aufgehalten. 11.600 Männer bis zum Jahrgang 1927 wurden in die großdeutsche Wehrmacht eingezogen. Wer sich weigerte oder desertierte, stürzte die Angehörigen ins Unglück; Sippenhaft war der Normalfall. „Unzuverlässige“ Luxemburger –über die „zuverlässigen“ gibt es keine Zahlen – wurden konsequent ins damalige Ostdeutschland, bevorzugt in den Reichsgau Wartheland, umgesiedelt. Im September 1942 ging der erste Transport nach Niederschlesien ab. 84 weitere folgten; mehr als 4.000 Luxemburger wurden während der deutschen Besatzung deportiert.

Für luxemburgische Rekruten brach eine schwere Zeit an. Ihre Ausbildung lief ab Oktober 1942 „vor dem Feind“ an der Front ab. Gegen die Fahnenflüchtigen selbst und ihre Helfer ging die Gestapo auf Anweisung Simons unnachgiebig vor. Die Betroffenen wurden vor einem Kriegsgericht abgeurteilt. Ihnen blühte Erschießung, Zuchthaus oder Strafkompanie.

Mit dem verhaßten „Giftzwerg von Hermeskeil“, Gauleiter Gustav Simon, haben die Luxemburger übrigens bereits unmittelbar nach Kriegsende abgerechnet. Er wurde im Sommer 1945 in Süddeutschland aufgegriffen. Sicher ist, daß Simon diesen Sommer nicht überlebt hat. Um seinen Tod ranken sich Legenden. Häufig begegnet man der Version, er sei totgeschlagen, seine Leiche in den flüssigen Stahl einer Eisenhütte gekippt worden. Andere Quellen verweisen darauf, daß er nach seiner Inhaftierung durch britische Soldaten im Gefängnis in Paderborn am 18. Dezember 1945 Selbstmord verübt habe.

Von den  „Malgré-nous“ (sinngemäß: „gegen unseren Willen“) liefen 3.510 über oder desertierten während des Urlaubs in Luxemburg. Von den übrigen 8.500 sind über dreißig Prozent gefallen. 1.551 kehrten mit schweren körperlichen oder seelischen Schäden zurück. Es gab kaum eine Familie, die nicht von der Zwangsrekrutierung betroffen war. Selbst die Elsässer hatten keinen so hohen Blutzoll entrichten müssen. In Wiltz erinnert eine Gedenktafel an die 21 standrechtlich Erschossenen. Einer von ihnen war Jos Ewen, der Schullehrer. Von ihm ist der Satz überliefert: „Ni an nimmer gin ech mat de Preissen an de Krich. Leiwer lossen ech mech an der Hemecht a fir meng Hemecht erschiessen.“ — „Nie und nimmer geh’ ich mit den Preußen in den Krieg. Lieber laß’ ich mich in der Heimat und für meine Heimat erschießen.“ Er sagte ihn am Abend des 30. August 1942.

Foto: Luxemburg 1940 unter deutscher Besatzung, den „deutschen Gruß“ zeigen nur wenige: Die Verfügung der allgemeinen Wehrpflicht verwandelte den schwelenden Zorn auf die Besatzer in offenen Protest

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