© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

Kritische Versuche einer Dekonstruktion
Dieter Hartwigs Biographie über Karl Dönitz sticht allenfalls in der Rezeptionsgeschichte hervor
Rolf Bürgel

Sine ira et studio“, das war die Forderung des Tacitus an die Geschichtswissenschaft. Leider wird diese Regel wissenschaftlicher Arbeit immer öfter mißachtet. Ein aktuelles Beispiel für diese Art „kritischer Geschichtsschreibung“ ist mit dem Werk  von Dieter Hartwig „Großadmiral Dönitz – Legende und Wirklichkeit“ erschienen.

Über Dönitz und den von ihm geführten U-Boot-Krieg 1939 bis 1945 liegt bereits umfangreiche Literatur vor. Genannt seien nur die umfassenden Untersuchungen von Michael Salewski und Jürgen Rohwer. Ein weiteres Buch zu diesem Thema erscheint da nicht zwingend notwendig. Doch dem Autor des jetzt vorliegenden Bandes, Fregattenkapitän a.D. und langjähriger Lehrer an der Marineschule Flensburg-Mürwik, der sich selbst als einen „kritischen Historiker“ sieht, geht es um etwas anderes, wie er bereits im ersten Kapitel mit dem bezeichnenden Titel „Wissen statt Legenden“ mit geradezu entwaffnender Offenheit deutlich macht.

„Das allgemeine Wissen über Karl Dönitz ist eine Mischung verschiedener Legenden, die sich zu sakrosankten (!) Mythen verdichteten (...) Die Diskussion über die Sinnhaftigkeit des U-Bootkrieges und insbesondere dessen Fortsetzung im Sommer 1943 bedurfte umfassender Kenntnisse“, so daß die Hoffnung vergeblich wäre, daß sich mit ihrer Kenntnisnahme das allgemeine Wissen über den U-Boot-Krieg und Karl Dönitz entscheidend „in Richtung der objektiven Tatsachen verändern würde“.Damit relativiert Hartwig die bisherigen Veröffentlichungen.

Hartwig beschäftigt sich mit der Person des Karl Dönitz schon viele Jahre. Bereits 1987 hat er beim 1. U-Bootgeschwader einen Vortrag zum Thema „Karl Dönitz – Versuch einer kritischen Würdigung“ gehalten, den er dann anschließend noch etwa vierzigmal gehalten hat, meistens in der Marine, im Förde-Club zu Kiel, in Marineoffiziers-messen und auch vor zivilem Publikum. Jetzt legt er seine Gedanken in Buchform vor. Obwohl akribisch recherchiert, erfährt der mit der Geschichte vertraute Leser nichts wirklich Neues, im Gegenteil. Von den insgesamt 304 Textseiten widmet Hartwig dem U-Boot-Krieg ganze 28 Seiten. Im Vergleich zu seinen bisherigen Vorträgen ist seine Form der Darstellung dagegen immer emotionaler geworden, stellenweise fast schon zur Obsession und erinnert damit in fataler Weise an das Buch von Peter Padfield „Des Teufels Admiral“ wie auch an die Veröffentlichungen von Lothar-Günther Buchheim, wenn Hartwig auch nicht gleichsam polemisch argumentiert.

Hartwig sieht in Dönitz nur einen ergebenen Anhänger seines Führers, der in blinder Befolgung von dessen Befehlen seine Soldaten in einen „mörderischen, gegen alle Vernunft durchgehaltenen U-Boot-Krieg“ geschickt hat, auch dann noch, als ihm ab Mai 1943 hätte klar sein müssen, daß dieser Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Dennoch genießt Dönitz – zum Erstaunen des Autors – nach wie vor den Ruf eines charismatischen Führers, dem seine Untergebenen bis zuletzt die Treue hielten. Besondere Verehrung wird dem Großadmiral zudem für die auf seinen Befehl erfolgte Rettung von zwei Millionen Menschen vor der Roten Armee über die Ostsee 1945 zuteil. Diesen „Mythen und Legenden mit neuen Erkenntnissen auf der Grundlage unwiderlegbarer Beweise“ entgegenzutreten ist das eigentliche Anliegen von Dieter Hartwig.

Doch die Beweise bleibt der Autor weitgehend schuldig. Statt dessen ist sein Buch vor allem geprägt durch Andeutungen, Vermutungen und vor allem Schuldvorwürfe, die teilweise ans Absurde grenzen. So wirft er Dönitz vor, als Hitlers Nachfolger im Mai 1945 nicht schneller kapituliert zu haben. Das hätte die Amerikaner dazu verleiten können, die Atombombe statt auf Hiroshima auf eine deutsche Stadt zu werfen. Das hätte Dönitz bedenken müssen! Auch wirft er ihm vor, sich keine Gedanken über die Zeit nach einem von den Nationalsozialisten gewonnenen Krieg gemacht zu haben. Einmal abgesehen davon, daß es nicht die Aufgabe eines militärischen Oberbefehlshabers sein kann, sich Gedanken über die politische Zukunft nach einem Krieg zu machen, vergißt der Autor, daß weder US-Präsident Roosevelt noch Premier Churchill, die politisch verantwortlichen Leiter der amerikanischen bzw. britischen Politik, sich diese Gedanken gemacht hatten. 

Bemerkenswert sind auch die vielen Widersprüche, in die sich Hartwig verwickelt. So schreibt er beispielsweise, angesichts der ab Mai 1943 deutlich werdenden Überlegenheit der alliierten U-Boot-Abwehr sei es ein Verbrechen gewesen, die U-Boote im Wissen um ihre fast sichere Vernichtung noch hinauszuschicken.

In seinem bereits genannten Vortrag „Karl Dönitz – Versuch einer kritischen Würdigung“, gehalten am 21. Oktober 1997 beim Delegiertentag des Verbandes Deutscher U-Bootfahrer (VDU) in Edenkoben antwortet Hartwig auf die Frage „Warum mußte die deutsche U-Boot-Waffe trotz geringer Erfolgsaussichten nach dem Mai 1943 weiterkämpfen?“ so: „Was hätte Dönitz denn im Mai 1943 tun sollen? Darf man, auch nachträglich, wirklich erwarten, daß sich Dönitz zu einer Art Widerstand hätte durchringen sollen oder können? Hätte er zu Hitler gehen und ihm sagen sollen, daß der Krieg zwar zu Lande weitergehen müsse, aber zur See stellen wir ihn ein, ziehen uns an die Küsten zurück und verteidigen hier Europa gegen die Angelsachsen.“ In seinem Buch vertritt er eine völlig gegenteilige Ansicht. 

Der eigentliche Schwerpunkt des Buches liegt weniger bei der Person des Großadmirals als vielmehr darin, wie Dönitz nach Ende des Kriegers gesehen und beurteilt wurde, von den ehemaligen Kameraden und Untergebenen, von der jungen Bundesmarine, der Politik, der Öffentlichkeit, den Medien und von unseren ehemaligen Kriegsgegnern. Diesen Fragen geht der Autor geradezu penibel und faktengesättigt nach. Es wird deutlich, wie schwer sich besonders die deutsche Politik mit Dönitz als einem der führenden Repräsentanten des Dritten Reiches getan hat und immer noch tut. In diesem Teil des Buches, das mehr als die Hälfte des Textes einnimmt, liegt seine eigentliche Stärke.

Dieter Hartwig:  Großadmiral Karl Dönitz. Legende und Wirklichkeit. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010, gebunden, 528 Seiten, Abbildungen, 39,90 Euro

Foto: Der frühere Großadmiral Karl Dönitz in seinem Haus in Aumühle bei Hamburg im Dezember 1974, Admiral Dönitz begrüßt Besatzungsmitglieder eines U-Boots, Wilhelmshaven 1940: Eine Mischung verschiedener Legenden

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