© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/11 13. Mai 2011

Vom rechten Parteiprogramm und einem Aufklärungsbestseller
Feminismus muß nicht immer links sein: Leben und Wirken der deutschnationalen Journalistin und Frauenrechtlerin Lenore Kühn
Ellen Kositza

Daß vor hundert Jahren bürgerliche Frauenrechtlerinnen neben radikalen Sozialistinnen kämpften, teils Seit’ an Seit’, teils in Gegnerschaft zueinander, ist vielfach dargelegt worden. Im öffentlichen Bewußtsein hingegen wird die Frauenbewegung heute als politisch linke Kraft registriert. Vor allem ihre konservativsten Ränder sind nahezu unbekannt, oder ihren Protagonistinnen wird in diskreditierender Absicht „undemokratisches“ Ansinnen unterstellt. Detlef Kühn, von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts, möchte mit seiner Biographie der Frauenrechtlerin Lenore Kühn (1878–1955) das Leben und Wirken seiner Großtante ins rechte Licht rücken.

In ihrer Jugend reüssierte die Deutschbaltin erfolgreich als Pianistin und nahm 1903 in Erlangen ein Philosophiestudium auf, das sie 1908 als eine der ersten Frauen mit der Promotion abschloß. Hernach arbeitete die weitgereiste Frau als Journalistin und kurzzeitig als Schriftleiterin der Deutschnationalen Frau, die von der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) herausgegeben wurde; auch zeichnete sie – eine enorme Stellung für eine Frau ihrer Zeit – für das Parteiprogramm der DNVP verantwortlich. In der Zeitschrift Der Ring, dem Organ der Jungkonservativen, war sie die einzige Frau unter den regelmäßigen Autoren. Unter dem Pseudonym „Diotima“ veröffentlichte die zweifach Geschiedene mit dem markanten, hageren Gesicht 1930 mit dem Bestseller „Die Schule der Liebe“ eins der ersten Aufklärungsbücher für das weibliche Geschlecht, das bis 1965 immer neue Auflagen erfuhr. Intensiv und gestützt durch zahlreiche Quellen widmet sich Detlef Kühn Lenores Wirken in der nationalsozialistischen Ära. Zweifellos hat man die hochtalentierte, arbeitsame Frau dem Kreis der Konservativen Revolution zuzurechnen, von nationalsozialistischen Fahrwässern und antisemitischen Ausfällen (der Autor dokumentiert akribisch ihre Stellungsnahmen zur „Judenfrage“) hielt sie sich hingegen fern.

Bedauerlich an dieser sorgsam edierten und mit Gewinn zu lesenden Arbeit ist lediglich, daß weder deutlich wird, inwiefern sich die konservative Frauenbewegung in ihren Vorstellungen von den Forderungen sozialdemokratischer Frauenverbände absetzte, noch wie gerade Lenore Kühn dies tat. Welche Positionen bezog sie – zum Paragraphen 218, zum noch jungen Frauenwahlrecht, zum Mutterschutz? In welcher Stimmlage, mit welchen Argumenten trat sie auf? Daß ihr der „ekelhafte Kampf“ des Reichsfrauenausschusses „gegen die berufstätige Frau“ die Arbeit gelegentlich verleidete, ist eine der raren Stellen, an denen der Leser Lenore Kühns persönlicher Haltung als „Frauenbewegte“ näherkommt.

Auch über andere Gebiete, zu denen die vielbeschäftigte Publizistin forschte und schrieb, hätte man gern mehr Inhaltliches erfahren. Die Einordnung von Lenore Kühns philosophischem Standpunkt in die Schule des Neukantianismus, die Betonung ihrer Wertschätzung Nietzsches – Kühn unterhielt einen ausgedehnten, hier kenntnisreich ausgebreiteten Briefwechsel mit Nietzsches Schwester und wurde von ihr auch finanziell unterstützt –, ihr Opus magnum „Die Autonomie der Werte“ (Teil I 1926, Teil II 1931 erschienen): dies alles nur angerissen und nicht ausgeführt zu sehen, läßt auf weiterführende Arbeiten hoffen. Das Porträt dieser Ausnahmefrau wäre noch dichter gelungen, wenn man sich weniger auf ihre Lebensstationen konzentriert, sondern ihr häufiger selbst das Wort überlassen hätte. 

Detlef Kühn: Lenore Kühn. Eine nationale Mitstreiterin der Frauenbewegung. Cardamina Verlag, Plaidt 2010, gebunden, 151 Seiten, 15 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen