© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/11 20. Mai 2011

Symbolische Verurteilung
Demjanjuk: Das Gericht verzichtet auf Tatnachweis
Georg Pfeiffer

Am Donnerstag vergangener Woche wurde John Demjanjuk vom Landgericht München II nach fast zweijähriger Verhandlung (JF 14/11) zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt. Damit blieb das Gericht um ein Jahr unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Gleichzeitig wurde der Haftbefehl gegen Demjanjuk aufgehoben.

Das Gericht sah es als erwiesen an, daß der 91jährige im Sommer 1943 im Vernichtungslager Sobibor als Wachmann Beihilfe zur Tötung von mindestens 28.060 Menschen, zumeist Juden, geleistet hatte. John Demjanjuk bestreitet das. Der Vorsitzende Richter Ralph Alt hob hervor, daß sich die Verurteilung nicht allein auf den hinsichtlich seiner Echtheit umstrittenen Dienstausweis stütze, sondern auf zahlreiche weitere Indizien wie Verlegungslisten, Dienstpläne und frühere Aussagen anderer Wachleute in Sobibor, und auf den Umstand, daß Demjanjuk bei seiner Einreise in die Vereinigten Staaten selbst Sobibor als einen seiner früheren Aufenthaltsorte angegeben hatte.

Das Gericht verzichtete auf einen individuellen Tatnachweis. Die als Trawniki bezeichneten Hilfswilligen, denen Demjanjuk angehört habe, hätten die im Vernichtungslager ankommenden Juden in Empfang genommen, bewacht und in die Gaskammern getrieben sowie dafür gesorgt, daß die Juden taten, was ihnen die SS-Leute befohlen hatten. Ohne diese „Hilfswilligen“ wäre die Judenvernichtung nicht möglich gewesen. Demjanjuk sei Teil einer Mordmaschinerie gewesen, er habe gewußt, woran er mitwirke und habe nicht versucht, sich dem zu entziehen.

Der Vorsitzende Richter betonte, weder politische noch moralische Erwägungen hätten ihn bei der Entscheidungsfindung geleitet. Doch ein politisches Signal war der Prozeß, zu dem John Demjanjuk regelmäßig im Rollstuhl oder gar auf einer Bahre in den Verhandlungssaal gebracht wurde, allemal. Eine der Errungenschaften der deutschen Rechtspflege ist, daß sie den Angeklagten als Subjekt an der Hauptverhandlung beteiligt und er nicht nur als Objekt der gerichtlichen Wahrheitsfindung behandelt werden darf. Das hat nicht nur zur Voraussetzung, daß der Angeklagte in der Lage ist, der Verhandlung zu folgen, sondern auch, daß er in der Lage ist, in den Gang der Verhandlung in verständiger Weise einzugreifen. Diese Verhandlungsfähigkeit muß auch dann gegeben sein, wenn der Angeklagte von seinem Recht, zum Tatvorwurf zu schweigen, Gebrauch macht. Das Erfordernis ist eine Konsequenz aus der verfassungsrechtlich garantierten Menschenwürde.

Die Bilder von der Verhandlung zeigten einen sehr alten und offensichtlich kranken Mann, welcher der Verhandlungssprache nicht mächtig ist. Die Verteidigung bemängelte denn auch, daß das Verfahren ein Schauprozeß sei, mit dem die deutsche Justiz versuche die Verantwortung für den Völkermord an Juden auch auf andere Länder mitzuverteilen beziehungsweise angebliche Versäumnisse aus früheren NS-Verfahren auszubügeln.

Bemerkenswert ist das Strafmaß von fünf Jahren. Auf einen Tag der verhängten Haftstrafe kommen etwa fünfzehn Morde, an denen John Demjanjuk mitgewirkt haben soll. Das Gericht gibt an, den langen verstrichenen Zeitraum seit der Tat strafmildernd berücksichtigt zu haben. Es ist nicht nachvollziehbar, wie der Zeitablauf eine einmal begangene Schuld mindern kann.

Es drängt sich der Eindruck auf, die Rechtsprechung führe hier in der Strafzumessung eine Art „Verjährung light“ ein. Der Schuldspruch erfolge nur noch symbolisch, wie das die Staatsanwaltschaft auch gefordert hat, und für diese scheinbar folgenlose symbolische Verurteilung komme es auf die volle Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten und einen vollen Schuldnachweis nicht wirklich an, etwaige Zweifel würden durch Rücksichtnahme auf die Opfer und ihre hohen Erwartungen aufgewogen.

John Demjanjuk hat gegen das Urteil Revision eingelegt.

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