© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/11 20. Mai 2011

Mit dem Herzen verbunden
Preußischer Patriot jüdischen Glaubens: Gemälde von Max Liebermann in der Bundeskunsthalle
Günther Deschner

Es brauchte Jahrzehnte, bis er in der öffentlichen Geltung zum „Klassiker der Kunst“ aufstieg, zum „Meister des Lichts“ und schließlich zum „echten König von Berlin“. Als er 1872, im Jahr nach der Gründung des Deutschen Reichs, sein erstes Bild ausstellte, war es für die deutsche Kunstszene, in der Erhabenheit dominierte, ein Skandal: „Häßlichkeitsapostel“ nannte man ihn. Der junge Berliner Millionärssohn Max Liebermann hatte es gewagt, „Gänserupferinnen“ zu malen, die in einem dunklen Schuppen lebendigen Gänsen die Flaumfedern ausreißen. Auch die jüdische Unternehmerfamilie, der er entstammte, war nicht erbaut, daß ihr Sohn negative Schlagzeilen machte.

Max war das zweite von vier Kindern. Vater Louis Liebermann, dem eine Tuchfabrik und Eisenhütten in Schlesien gehörten, und seine Frau Philippine, aus einer Juweliersfamilie stammend, besaßen am Pariser Platz Nr. 7, direkt neben dem Brandenburger Tor, ein Palais. Doch war man auch reich, war die Haushaltsführung schlicht und orientiert an preußischen Tugenden.

Schon der Schüler Max erhielt privat Malunterricht. Mit 21 ging er an die Weimarer Kunstakademie, aber die dort dominierende Historienmalerei mißfiel ihm. Die erste künstlerische Orientierung fand er statt dessen im Realismus. Die umstrittenen „Gänserupferinnen“ wurden für tausend Taler verkauft – und mit diesem ersten selbstverdienten Geld ging Liebermann nach Paris. Der Landschaftsmaler Corot und noch mehr der Realist Millet zogen ihn mächtig an, aber der wollte – so kurz nach dem Krieg von 1870/71 – nichts mit dem „Prussien“ zu tun haben.

Liebermann fuhr weiter nach Holland, das ihm zur künstlerischen Wahlheimat wurde. Immer wieder kehrte er dorthin zurück, schwärmte von den Ebenen und den Menschen, denen „keine Pose“ eigen sei. Es entstanden Gemälde, die heute als exemplarische Zeugnisse des deutschen Realismus des 19. Jahrhunderts gelten. Gern malte er einfache Leute. Sozialkritische Anklagen stecken nicht in den Bildern, allein die Wahl des Sujets wertet die Dargestellten auf.

Kam er nach Amsterdam, streifte er durchs Judenviertel, fand in der alten Synagoge Motive, die er aus Berlin so nicht kannte. Sie lieferte ihm auch die Kulisse für den „Zwölfjährigen Jesus im Tempel“, den er 1879, bereits nach München umgezogen, abschloß. Liebermann hatte den Gottessohn als einfachen Knaben gemalt, nicht als verklärten Heiligen. Genau das empörte die Bayern. „Den häßlichsten Judenjungen, den man sich denken kann“, nannte die Augsburger Allgemeine diesen Jesus. Die Darstellung führte – selbst im Landtag – zu heftigen antisemitischen Erregungen.

1884 nach Berlin zurückgekehrt, stieg er zu einem gefeierten Maler des Bürgertums der Jahrhundertwende auf. Wie kein zweiter begleitete er mit seinem abwechslungsreichen Lebenswerk das kulturelle Gesicht des Deutschen Kaiserreichs und auch die Weimarer Republik bis zu ihrem Ende.

Nun widmet ihm die Bonner Bundeskunsthalle eine umfangreiche Retrospektive unter dem Motto „Wegbereiter der Moderne“. Ausgestellt sind Gemälde aus allen Schaffensphasen des Künstlers. Ein didaktisch ausgefeilter Rundgang präsentiert die wichtigsten Werkgruppen exemplarisch: Die frühen Darstellungen der bäuerlichen Lebenswelt zeichnen sich noch durch harten Realismus und gedämpftes Kolorit aus. Erst ab Mitte der 1880er Jahre taucht der Künstler seine Motive des bürgerlichen Freizeitvergnügens – die Welt der Gartenlokale und des Strandlebens – in das sonnendurchwirkte Licht der Impressionisten.

Auch als Porträtist war er gefragt. Adelige, Großunternehmer und Wissenschaftler ließen sich von ihm malen. In seinen besten Stücken wie dem späten Porträt des Chirurgen Ferdinand Sauerbruch (1932) erreichte er etwas von der Unmittelbarkeit des Ausdrucks, die ihn an Werken von Frans Hals so faszinierte. Der Rundgang endet mit dem fulminanten Alterswerk, das er in seinem Sommerhaus am Wannsee schuf.

Der Erste Weltkrieg brachte eine Wende in dieses erfolgreiche Künstlerleben. Obwohl unpolitisch, ließ ihn das deutsche Schicksal nicht unberührt: Als einer von 93 Wissenschaftlern, Künstlern und Schriftstellern – von Max Planck und Fritz Haber über Gerhart Hauptmann und Siegfried Wagner bis zu den Malerkollegen Max Klinger und Franz von Stuck – unterzeichnete im September 1914 auch Liebermann einen „Aufruf an die Kulturwelt“, der die Vorwürfe der Kriegsgegner zurückwies: „Es ist nicht wahr, daß Deutschland diesen Krieg verschuldet hat. Weder das Volk hat ihn gewollt noch die Regierung, noch der Kaiser (…) Erst als eine schon lange an den Grenzen lauernde Übermacht von drei Seiten über unser Volk herfiel, hat es sich erhoben wie ein Mann.“ Nach dem Krieg für seine Unterschrift kritisiert, blieb Liebermann standhaft: „Man ist doch mit seinem Lande solidarisch verbunden – in meinem Herzen lebt das deutsche Vaterland als ein unantastbarer und unsterblicher Begriff.“

Dabei hatte Liebermann sich schon in den Kriegsjahren immer mehr in seine Wannseevilla zurückgezogen. Seine malerische Kraft war ungebrochen. Die Gartenszenen bestechen durch ihre Lebendigkeit und Schönheit – und doch sind sie Boten des Rückzugs.

Als Kulturpolitiker erreichte der noch immer agile Liebermann die Modernisierung der Preußischen Akademie der Künste, deren Leitung er 1920 übernahm. Zu seinem 80. Geburtstag wurde er mit Ehrungen überhäuft: Berlin verlieh ihm die Ehrenbürgerwürde, Reichspräsident von Hindenburg den „Adlerschild des Reiches“. Doch schon wenige Jahre später, nachdem Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte, wurde der gefeierte Künstler gesellschaftlich geächtet. Um seiner drohenden Entlassung zuvorzukommen, legte Liebermann das Ehrenpräsidium der Preußischen Akademie der Künste nieder und trat aus.

Am 8. Februar 1935 starb er. Auf Wunsch der Witwe nahm der befreundete Bildhauer Arno Breker die Totenmaske ab. Als der begnadete Maler und deutsch-jüdische Patriot Liebermann in der Familiengruft auf dem Friedhof an der Schönhauser Allee beigesetzt wurde, gaben nur wenige dem Toten das letzte Geleit.

Die Ausstellung „Max Liebermann – Wegbereiter der Moderne“ ist bis zum 11. September in der Bonner Bundeskunsthalle, Museumsmeile, Friedrich-Ebert-Allee 4, täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr, Di. und Mi. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 02 28 / 91 71–0

 www.bundeskunsthalle.de

Fotos: Max Liebermann (1847–1935), Die Gänserupferinnen (Öl auf Leinwand, 1871): Das deutsche Schicksal ließ den Künstler nicht unberührt; Max Liebermann, Selbstbildnis (1910); Der zwölfjährige Jesus im Tempel (1879): „Häßlicher Judenjunge“

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