© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/11 20. Mai 2011

Die Suche nach der Landschaft
Englische Romantik: Der Maler John Constable in der Staatsgalerie Stuttgart
Sebastian Hennig

Ein kleines unbedeutendes Bild von Caspar David Friedrich hängt in einem Seitenkabinett der National Gallery in London. In der Berliner Nationalgalerie befindet sich seit 1905 ein ungefähr zeitgleich entstandenes Gemälde von John Constable, „Das Haus des Admirals in Hampstead“. Noch bevor die Deutschen ihren größten Landschaftsmaler der romantischen Epoche für sich entdeckten, feierten sie Constable als den Vorläufer des modernen Stils.

Doch blieb diese frühe Euphorie dann so folgenlos, daß die derzeitige Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart die erste Personalausstellung des Malers in Deutschland ist. Überwiegend handelt es sich um Studien, an denen der grundlegende Unterschied zu einem subtilen Bildarchitekten vom Schlage Friedrichs nur allzu deutlich wird. Wo dieser seine Empfindung drosselt und seine strengen Entwürfe zu spröder Großartigkeit steigert, ist Constable ein Genießer und Erzähler. Bei aller Lässigkeit der Pinselschrift in den großen Bildern bleibt er im Bildaufbau konventionell.

„Teich am Branch Hill, Hampstead“ (1828) ist ein Muster wohltemperierter Landschaftsmalerei. Seine Darstellungen von „Stonehenge“, der „Kathedrale von Salisbury“ und „Old Sarum“ profitieren von der sentimentalen Symbolik des Ortes, ohne dessen Formen zum Aufbruch in neue Bilderfindungen zu nutzen, wie es Friedrich etwa mit der Ruine Eldena oder der Nobbiner Steinsetzung getan hat. Es war auch eine grundlegend andere Landschaft, welche die beiden Maler vorfanden. Während die Insel bereits vom industriellen Umschwung und den großen Einhegungen umgeprägt war, befanden sich Mitteleuropas Gefilde noch in einem Zustand verlassener Wildheit, der nach deutender Formung verlangte. Die Verfassung, in der Constable seine Heimat vorfindet, ähnelt jener, die erst im Deutschland des Adolph von Menzel erreicht ist. Entsprechende formale Ähnlichkeiten bestehen zwischen den beiden Malern.

Der moderne Mensch Constable ist voller konservativer Sehnsüchte, die er an den wenigen unangetasteten Flecken stillt. So hat es ihn aus der Londoner Stadtwohnung oft in die Heidelandschaft des Hampstead Heath gezogen, wohin er schließlich sogar seinen Wohnsitz verlegte. Dort fand er die klare Luft für seine Wolken- und Wetterbilder. Die friedliche Ruhe des unermeßlichen Meeres bei Brighton fesselte ihn ebenso, wie ihn die Betriebsamkeit des Badeortes abstieß. „Brighton ist das Sammelbecken der Mode und des Abschaums von London“, schreibt er einem Freund. Die Schirme und Kleider taugen ihm allenfalls als winzige Farbakzente auf der Strandfläche. Sonst wendet er sich lieber einer einsam zwischen den Hügeln stehenden Windmühle zu oder den Fischern, die ihrem Broterwerb nachgehen. In vier Zeichnungen dokumentiert er die Bergung zweier gestrandeter Kohleschoner, die ein Sturm an den Strand geweht hatte.

Geradezu magnetische Wirkung auf die britischen Romantiker, Dichter wie Maler, übte der Lake District aus. Zwei Aquarelle, die 1806 an des Künstlers Lieblingsort Borrowdale entstanden, vermitteln einen starken Eindruck von jener Gegend, die Thomas Grey 1769 mit dem Tor zur Hölle verglichen hat. Den zahlreichen Kleinformaten, die sich im Vorübergehen recht unspektakulär als fast monochrom erscheinende Vierecke in den Ausstellungsräumen ansammeln, stehen drei große Ölbilder zur Seite, in denen das ganze Instrumentarium seiner Malerei entfaltet ist. Zwei originalgroßen Studien zu „Das springende Pferd“(1825) und „Der Heuwagen“ steht die vollendete Fassung des Pferdes aus dem Besitz der Royal Academie gegenüber. Ein eigentlich pastorales Thema wird mit Pathos vorgetragen. Ein berittenes Treidelpferd, mit dem ein Lastkahn stromaufwärts gezogen wird, bäumt sich auf beim Überreiten einer Brücke. Dazu erzeugt ein Wetterleuchten wie vor dem Gewitter eine kühlklare Farbigkeit, wie durch einen Kristall gesehen. Die Baumgruppen, der hölzerne Steg und die Horizontlinie bekommen eine Bedeutung und Dringlichkeit, die denen der Figuren in nichts nachstehen.  Kunst nährt sich aus zwei Quellen, aus der Beobachtung der Natur und wiederum aus Kunst. „Kein einziges Bild hat je begleitet von größerer Sorge meine Staffelei verlassen“, berichtet er über die Arbeit an „Das springende Pferd“.

Große Kunst braucht große Flächen. Um Constable wirklich kennenzulernen, ist weiterhin eine Reise nach London erforderlich. Dem Londoner sei unterdessen ein Besuch in der Hamburger Kunsthalle dringend ans Herz gelegt.

Die Ausstellung „John Constable – Maler der Natur“ ist bis zum 3. Juli in der Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Str. 30-32, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Di. und Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 07 11 / 470 40 250. Katalogbuch im Hatje Cantz Verlag. www.staatsgalerie.de

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