© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/11 20. Mai 2011

Lockerungsübungen
Humanitäre Kriegstreiber
Karl Heinzen

Bereits in diesem Jahr wird der sukzessive Abzug der internationalen Schutztruppe aus Afghanistan einsetzen. Nach Auffassung der humanitären Nichtregierungsorganisation Oxfam kommt dieser Schritt jedoch überstürzt. Die Voraussetzung, daß einheimische Sicherheitskräfte die Verantwortung für die Stabilität des Landes übernehmen und die Bürger in rechtsstaatlicher Weise vor den Aufständischen schützen können, sei mitnichten erfüllt. Vielmehr müsse beklagt werden, daß sich gerade die der Regierung in Kabul unterstehenden Polizisten und Militärs vielfältige Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung zuschulden kommen lassen – von Folter und Mord bis hin zur Rekrutierung von Kindersoldaten. Die Isaf-Truppe dürfe ihr Engagement daher erst dann reduzieren, wenn sichergestellt sei, daß ihre Standards auch von den afghanischen Kollegen verinnerlicht worden sind.

Oxfam mag das Problem eines noch unterentwickelten Gespürs für Rechtsstaatlichkeit in der Region zutreffend beschrieben haben. Der Lösungsvorschlag ist gleichwohl wenig praktikabel. Von den ambitionierten Zielen, mit denen die Isaf-Mission vor fast zehn Jahren begonnen wurde, ist kaum etwas geblieben. Heute wäre man damit zufrieden, das Land unter Gesichtswahrung wieder räumen zu können, um es dann aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit verschwinden zu lassen. Mit den Einsatzgrundsätzen von Isaf läßt sich nicht einmal für Stabilität sorgen. Diese werden die einheimischen Sicherheitskräfte nur herstellen können, wenn sie nach Landessitte verfahren und sich nicht am schlechten Vorbild der ausländischen Truppen orientieren.

Darüber hinaus ist das Begehren von Oxfam, die Intervention fortzusetzen, auch aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen. In der Vergangenheit konnte man sich darauf verlassen, daß Militärs in Krisen für den Einsatz militärischer Mittel plädieren und humanitäre Organisationen dies verdammen, um dann der betroffenen Bevölkerung in ihrer Not beizustehen. Heute haben sich die Rollen vertauscht. Im Zeichen der neuen Völkerrechtsdoktrin der „Responsibility to protect“ sind die Wortführer der Zivilgesellschaft die Kriegstreiber schlechthin, die am liebsten weltweit Streitkräfte im Dienste universaler Werte in Aktion treten sähen. Ihnen muß man im Interesse des Friedens das Handwerk legen.

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