© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Merkel und das geheimnisvolle Foto
Porträt: Ein Blick in die Akten der Kanzlerin könnte die Gerüchte über ihre Stasi-Mitarbeit zerstreuen
Hinrich Rohbohm

Es soll auf dem Weg zur Zahlstelle geschehen sein. 1978. Das Jahr, in dem Angela Merkel die Karl-Marx-Universität Leipzig mit Einser-Diplom beendete. Sie habe danach als wissenschaftliche Assistentin an der Technischen Universität Ilmenau arbeiten wollen. Dort aber habe ihre Kaderakte vorgelegen, Mitstudenten hätten demnach ihr Privatleben ausspioniert. Nach dem Bewerbungsgespräch sei sie auf dem Weg zur Zahlstelle von zwei Stasi-Offizieren auf eine Mitarbeit angesprochen worden. Sie habe abgelehnt. Weil es ihr schwerfalle, etwas für sich zu behalten. Daraufhin sei ihr in Ilmenau abgesagt worden und Merkel ging zum Zentralinstitut für physikalische Chemie (ZIPC) an die Akademie der Wissenschaften in Berlin-Adlershof. Das ist die Version Angela Merkels. Es ist die Geschichte, die sie ihrem Biographen Gerd Langguth erzählte, kurz bevor sie 2005 Kanzlerin wurde. Bestätigen kann sie niemand. Wer die Stasi-Mitarbeiter waren? Unbekannt. 2009 sprach Merkel in der Sendung „Menschen bei Maischberger“ erneut über den Anwerbeversuch. Diesmal war es nur noch ein Stasi-Offizier.

Widersprüche, die sich aufklären ließen, würde die Kanzlerin der Öffentlichkeit Einblick in ihre Stasi-Akten gewähren. Genau das aber läßt sie bis heute nicht zu. Was zu Spekulationen führt. Darüber, ob die CDU-Chefin nicht doch im Dienste von „Horch und Guck“ gestanden haben könnte.

Zweifel nährt etwa ein Paßfoto Merkels, das sich in den Stasi-Akten über den Kommunisten und als DDR-Regimekritiker bezeichneten Robert Havemann befindet. In einer Fotosammlung sind dort alle Personen erfaßt, die sich dem damals rund um die Uhr von der Stasi bewachten Anwesen des einstigen SED-Mitglieds und KGB-Zuarbeiters in Grünheide bei Berlin näherten. Auch Angela Merkel taucht dort 1980 auf.  Weil es auf dem Anwesen von Stasi-Leuten nur so wimmelte, zugleich aber zahlreichen DDR-Bürgern der Zutritt zum Haus Havemanns verwehrt wurde, warf das Schweiz-Magazin im Internet die Frage auf, ob Merkel ein „Stasi-Spitzel“ gewesen sein könnte. Der WDR war bei Recherchen auf das Bild aufmerksam geworden, wollte es für seinen Film „Im Auge der Macht – Die Bilder der Stasi“ verwenden. Doch die Birthler-Behörde stellte die Aufnahme nur gerastert zur Verfügung, Merkel hatte die Ausstrahlung des Fotos untersagt.

Zudem erweckt ihre frühere Funktion als FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda an der Akademie zusätzlich den Eindruck einer SED-konformen Haltung. „Ich kann es nicht beweisen, aber es würde mich wundern, wenn sie nicht bei der Stasi gewesen wäre“, meint ein ehemaliges CDU-Landesvorstandsmitglied, das davon spricht, daß bei der Union in den östlichen Bundesländern zahlreiche kommunistische Seilschaften wieder Führungspositionen einnehmen würden.

Gegen eine Stasi-Tätigkeit Merkels spricht jedoch, daß die Kanzlerin seit 1978 eng mit Robert Havemanns Stiefsohn Ulrich am ZIPC zusammenarbeitete. Er hatte ihr beim Umzug geholfen, hatte renoviert, Regale und Gardinen besorgt, als Merkel von Leipzig nach Berlin kam. Im Gegenzug soll Merkel bei den Havemanns die Kinder gehütet haben, was eine Erklärung für ihre Anwesenheit auf dem Grundstück sein könnte.

Allerdings ging ein weiterer heute noch aktiver Politiker 1980 bei Robert Havemann ein und aus: Gregor Gysi. Der Vorsitzende der Linksfraktion vertrat als Anwalt zwischen 1979 und 1980 die Interessen des vermeintlichen Dissidenten. Auch mit Ulrich Havemann hatte er mehrfach Gespräche geführt. Da die Anwesenheit Merkels bei Havemann aus dem Jahr 1980 belegt ist, wäre es möglich, daß sich beide schon damals gekannt haben könnten. Nicht zuletzt deshalb, weil Merkels Vater zum damaligen Zeitpunkt kirchlicher Verhandlungspartner des Vaters des Linkspartei-Politikers, Klaus Gysi, war, der als Staatssekretär für Kirchenfragen fungierte.

Horst Kasner könnte der Stasi dagegen trotz seiner Verstrickungen in den DDR-Apparat einen Korb gegeben haben. Das jedenfalls behauptete Klaus Roßberg, der als Oberstleutnant und stellvertretender Leiter der Stasi-Hauptabteilung XX/4 für Kirchenangelegenheiten zuständig war. Kasner sei der Stasi Mitte der siebziger Jahre im Berliner Rotlichtmilieu aufgefallen. Mit diesem Wissen in der Hinterhand habe man den Pfarrer für eine Mitarbeit gewinnen wollen. Doch Kasner gab sich selbstbewußt. „Bevor ich mich mit Ihnen einlasse, beichte ich lieber meinem Bischof. Ich werde dort Vergebung finden“, habe Merkels Vater entgegnet. Der Bischof hieß damals Albrecht Schönherr. Jener Mann, der Kasner die Leitung des Pastoralkollegs verschaffte und gemeinsam mit ihm dem Weißenseer Arbeitskreis und der Christlichen Friedenskonferenz angehörte.

Das Selbstbewußtsein kam nicht von ungefähr. Wer seitens der DDR-Obrigkeit mit Kasner in Kontakt trat, hatte die klare Anweisung, nach Möglichkeit allen seinen Wünschen zu entsprechen. Merkels Familie verfügte zu DDR-Zeiten über zahlreiche Privilegien. Sie war im Besitz von zwei Autos, hatte einen Privatwagen und ein Dienstfahrzeug. Reisen in den Westen waren keine Seltenheit. Horst Kasner warb bei seinen Westaufenthalten für die Deutschlandpolitik der DDR. Merkels Mutter, Herlind Kasner, konnte sogar in die Vereinigten Staaten reisen. Angela Merkel selbst hielt sich während ihrer Tätigkeit an der Akademie der Wissenschaften nicht nur über längere Zeiträume in der Sowjetunion und in Prag auf, sondern reiste zudem mehrfach in die Bundesrepublik. Unter anderem besuchte sie einen Physiker in Karlsruhe. Eine Begebenheit, die in einem anderen Zusammenhang bedeutend ist. Und dessen Spur nach Moskau führen könnte.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) und die damalige Leiterin der Stasi-Behörde, Marianne Birthler, blättern 2009 in Akten des DDR-Geheimdienstes:  „Ich kann es nicht beweisen“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen