© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

„Meine Heimat ist die DDR“
SED-Vergangenheit: Eine Veranstaltung der Linkspartei zum Thema „Die Linke und die Nation“ gerät zu einer skurrilen Erinnerungsstunde
Henning Hoffgaard

Etwa 40 greise Mitglieder des Marxistischen Forums der Linkspartei sitzen unweit der Stasi-Unterlagenbehörde im Karl-Liebknecht-Haus und warten sehnsüchtig auf den Beginn der Veranstaltung „Die Linke und die Nation“. Weil der sich jedoch ein wenig verzögert, bleibt ihnen noch genug Zeit, um in alten DDR-Zeiten zu schwelgen. Traurig tauschen die älteren Herren vergilbte Schwarzweißfotos aus und fragen sich, wie es soweit kommen konnte. „Den hätte man damals auch erschießen sollen“, sagt einer mit Blick auf ein Foto und lacht dabei laut auf.

Wo die Linkspartei sonst zu Pressekonferenzen lädt, diskutierten in der vergangenen Woche Klaus Höpcke, ehemaliger stellvertretender DDR-Kulturminister, und der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Uwe Hiksch, heute Sprecher des Marxistischen Forums, das Verhältnis von Linken zur Nation. Ein Thema, das Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten seit mehr als 150 Jahren bewegt.

Karl Marx schrieb im „Kommunistischen Manifest“ noch von einem „sich selbst als Nation konstituierenden“ Proletariat, das dabei immer national bliebe. 150 Jahre später klingt das bei seinen Nachfolgern etwas anders. Anläßlich schwarz-rot-goldener Fahnenmeere während der Fußballweltmeisterschaft 2006 warnte die Linkspartei-Politikerin Julia Bonk: „Die Linke muß das Bedürfnis nach Identität aufnehmen und ein Angebot jenseits des Konzeptes der Nation entwickeln.“ Heute sieht die Partei sich deshalb selbst als „internationalistisch“. Von der Nation will die Linke nur noch wenig wissen, sie redet lieber vom Staat, bevorzugt vom Sozialstaat.

Gekommen sind auch junge Menschen, doch nach noch nicht einmal einer Stunde haben sie genug und verlassen die ihrem Höhepunkt entgegensteuernde Diskussion. Während Höpcke die Nation als Ort für den Klassenkampf definiert, in dem die Interessen der Arbeiterklasse durchgesetzt werden könnten, plädiert Hiksch für eine völlige Abwendung von den Nationalstaaten. Für ihn, der Stolz erzählt, wie er 1990 angesichts der sich abzeichnenden Wiedervereinigung eine Demonstration unter dem Motto „Nie wieder Deutschland“ mitorganisierte, ist die Nation nur ein Hilfskonstrukt des Kapitals. Genauso wie mit einer „vermeintlich gemeinsamen Kultur, Sprache und Identität“, wolle man den Arbeitern damit nur vorgaukeln, es gäbe nationale Interessen, wettert der 46jährige.

Die Mehrheit der Anwesenden will dem im antinationalen Milieu beheimateten ehemaligen SPD-Abgeordneten da nicht folgen. Vielmehr, so tönt es, dürfen die Linken den Begriff „Nation“ nicht den Rechten und der Reaktion überlassen, die bisher einen klaren Vorteil bei der Besetzung des Begriffes hätten. Richtiger Streit will allerdings nicht aufkommen. Dazu ist die Veranstaltung viel zu intim.

Man kennt und trifft sich regelmäßig, unterstützt die Kommunistische Plattform und wirbt gemeinsam für den Trotzkisten-Kongreß „Marx21“. „Wenn man sich früh anmeldet, ist es viel billiger“, schwärmt eine Endsiebzigerin und breitet ihre Flyer aus. Ein ehemaliger Grenzsoldat mit klobiger Honecker-Hornbrille verteilt währendessen eine zehn Jahre alte Erklärung zum 40. Jahrestag des Mauerbaus, den er allerdings nur den Tag der „Sicherung der Staatsgrenze der DDR“ nennt. Dadurch, meint der Ex-Grenzer, hätte man die Integrität und Souveränität der DDR erhalten können.

Überhaupt, wie Souverän ist eigentlich die Bundesrepublik, fragt auch der ehemalige DDR-Minister. Immerhin würden von der „BRD“ aus amerikanische Truppen in alle Welt geflogen. Etwas, das es zu DDR-Zeiten niemals gegeben hätte. Damit trifft er den Nerv der Anwesenden. Niemand will sich so recht mit Deutschland identifizieren. „Meine Heimat ist die DDR, dort bin ich aufgewachsen und dort habe ich gelebt“, sagt eine etwa 40 Jahre alte Frau und legt dabei zum ersten Mal bedächtig ihre Stricknadeln beiseite. „Nation ist miteinander leben wollen“, konstatiert Höpcke, der die Leute noch zum Kauf seines Buches „Über linke Heimatliebe“ zu animieren versucht. Das Land, das die meisten hier wirklich geliebt haben, ist allerdings schon vor 20 Jahren untergegangen.

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