© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Auf dem Weg zu Ludwig Erhard
Sahra Wagenknecht: Die Vorzeige-Kommunistin überrascht mit einem neuen Buch Anhänger wie Gegner / Gute Krisenanalyse, ihre Lösungsvorschläge bleiben vage
Max Otte

Die stellvertretende Vorsitzende und wirtschaftspolitische Sprecherin der Linken hat ein neues Buch mit dem Titel „Freiheit statt Kapitalismus“ geschrieben. Der Name Sahra Wagenknecht ist für viele Konservative ein rotes Tuch. Die – jetzt ruhende – Mitgliedschaft der Politikerin in der Kommunistischen Plattform der Linken sowie unbedachte Äußerungen aus ihrer Frühzeit haften im Gedächtnis.

Dabei kann es sich durchaus lohnen, sich mit ihren wirtschaftspolitischen Thesen auseinanderzusetzen. Menschen sind lernfähig, und die studierte Philosophin und Literaturwissenschaftlerin hat dazugelernt. Viele ihrer Analysen hätten auch von den Gründern der Sozialen Marktwirtschaft – Ludwig Erhard, Wilhelm Röpke oder Alfred Müller-Armack –, die sie ausgiebig zitiert, verfaßt worden sein können. Eine Stalinistin ist Wagenknecht nicht, sondern eine Politikerin, die ihre Bücher selber schreibt und über ihr Fachgebiet nachgedacht hat.

Wagenknecht demaskiert die Mythen und Schwachstellen des globalen Hyperkapitalismus. Dazu kann der sozialistische Standpunkt hilfreich sein. Schon der Ordoliberale Alexander Rüstow sprach in seiner Schrift „Zwischen Kapitalismus und Kommunismus“ 1949 davon, daß Marxisten und Sozialisten eine bessere Krisentheorie als die liberalen Ökonomen hätten, weil sie einen größeren Abstand zum Geschehen haben. Im ersten Teil („Unproduktiver Kapitalismus“), zeigt sie auf, warum der heutige Hyperkapitalismus eine unproduktive und unfaire Ordnung ist.

Die Macht der Finanzoligarchie – von den Nationalsozialisten „Plutokratie“, von Rudolf Hilferding das „internationale Finanzkapital“ genannt – unterwirft sich die Politik ganzer Länder und führt letztlich zu dem jetzigen Sozialismus für Banken und Bankmanager: Banker können riskante Wetten eingehen. Gewinnen sie, erhalten sie extreme Vergütungen, verlieren sie, zahlen alle. Damit entsteht das Gegenteil einer Leistungsgesellschaft und gerade die Finanzoligarchie hat viele leistungsfreie Einkommen.

Wagenknecht prangert das Firmenmonopoly und bloße Renditestreben in den Großkonzernen an. Wenn man ihr entgegenhält, daß sie sich damit nicht auf dem Boden einer Marktwirtschaft befindet, sollte man zweimal nachdenken. Schon Peter Drucker, der größte Managementdenker des 20. Jahrhunderts, hat darauf hingewiesen, daß Firmen, die Kapitalrendite als oberstes Ziel haben, irgendwann zugrunde gehen. Gewinne werden nach Drucker dann dauerhaft, wenn das Unternehmen durch intelligente Produkte und Dienstleistungen dauerhaft Kunden zufriedenstellen kann. Die Rendite ist eine Residualgröße, wenn man seinen Job gut macht. Auch die Tatsache, daß heute meistens die Konzerne herrschen und sich die Politik gefügig machen, wird detailliert erläutert und belegt.

Der zweite Teil – „Kreativer Sozialismus: Einfach. Produktiv. Gerecht.“ – ist allerdings weiter eher Analyse als Präskription. Interessant sind die Ausführungen zu den Staatsschulden. Von ihnen lebt eine Klasse von Rentenbeziehern, sie bezieht leistungsfreie Einkommen. Der französische Arzt François Quesnay (1694–1774) sprach zum ersten Mal von den Einkommen der verschiedenen Klassen – den Grundbesitzern, den Händlern und eben auch den Rentiers. Wagenknecht zeigt auf, daß in den letzten Jahrzehnten die Vermögen der Reichen um ungefähr dieselbe Summe gestiegen sind wie auf der anderen Seite die Staatschulden. Das zwingt zum Nachdenken.

Öffentliche oder genossenschaftliche Banken – in Deutschland die Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken – hätten der Realwirtschaft besser als Goldman Sachs, McKinsey & Co. gedient und auch öffentliche Unternehmen funktionierten oftmals, zum Beispiel bei der Modernisierung Frankreichs. Insgesamt bleiben die Lösungsvorschläge von Sahra Wagenknecht allerdings etwas vage. Die vorgeschlagene stückweise Überführung des Anteils von Großkonzernen in Belegschaftseigentum löst die Probleme noch nicht, obwohl gerade die Begründer der Sozialen Marktwirtschaft sich eine breite Streuung des Aktienvermögens gewünscht haben.

Hier zeigt sich eine Schwäche der großen Utopien, sei es nun Kapitalismus oder Sozialismus. Für im heutigen Sinne „Neoliberale“ richtet der Markt alles. Das ist der gängige Glaube. Für Sozialisten ist „der Mensch“ primär gut. Sie übersehen, daß jeder Mensch gut und böse sein kann, daß er eine duale Natur hat. Mit anderen Worten: Der Sozialismus hat nicht wirklich eine Theorie der Macht und ihres Ge- und Mißbrauchs in Organisationen und Staaten.

Die heutigen Konzerne sind jedoch massive Ansammlungen von Macht und gigantische Bürokratien. Schon Walther Rathenau, AEG-Lenker und genialer Wirtschaftspolitiker, sprach von Beamten in den großen Konzernen. Der Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ist danach kein produktiver Unternehmer, sondern ein Spitzenbeamter, der nach bestimmten Regeln agiert.

Daneben haben die Staatsbeamten immer weniger Gewicht. Wird es gelingen, einen schlanken, aber starken neopreußischen Staat als Gegengewicht zu den globalen Konzernen zu bauen? Einen Staat, der die den Superreichen verpflichteten Konzerne wieder in einen Ordnungsrahmen einbettet? Werden wir es schaffen, Government statt Governance zu re-etablieren? Werden wir eine neue Staatselite aufbauen?

Diese muß nicht groß sein, aber hervorragend und vom Geist Friedrich des Großen erfüllt – nämlich Diener des Staates und nicht der Deutschen Bank oder von Goldman Sachs zu sein. Oswald Spengler sah hierin die entscheidende Frage des 20. Jahrhunderts. Denn daß der Kapitalismus in seiner jetzigen Form des Sozialismus für Banken und Superreiche in den Abgrund führt, damit hat Frau Wagenknecht sicher recht.

 

Prof. Max Otte lehrt Betriebswirtschaft an der FH Worms. In seinem Buch „Der Crash kommt“ prognostizierte er bereits 2006 die internationale Finanzkrise.

Sahra Wagenknecht: Freiheit statt Kapitalismus – Wie wir zu mehr Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit kommen. Eichborn, Frankfurt 2011, 368 Seiten, gebunden, 19,95 Euro.

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