© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Zeitschriftenkritik: Agora 42
Freiheit, die ich meine
Harald Harzheim

Auch wenn Populärphilosoph Richard David Precht („Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“) seit 2010 als Mitherausgeber fungiert, ist die Zeitschrift agora42 bis heute relativ unbekannt. Dabei wäre ein Magazin für „Ökonomie, Philosophie und Leben“ doch dringend erforderlich. Eins, das nicht in fachinternem Vokabular und Denkmodellen kreiselt, sondern aus „philosophischer Perspektive“ analysiert. Und genau diese Lücke sollte das 2009 von vier Jungunternehmern gegründete agora42 schließen. Precht: „Daß sich Ökonomen kaum noch für Philosophie, Philosophen kaum mehr für Ökonomie interessieren, ist ein gesellschaftliches Fiasko.“ Denn: „Der Rahmen der Philosophie ist die Ökonomie – aber umgekehrt ist der ökonomische Zusammenhang philosophisch geworden.“

Die aktuelle Ausgabe dreht sich um das Thema „Freiheit“. Ein perfektes Beispiel dafür, wie ein Begriff durch einen Fachbereich, in diesem Falle die Ökonomie, besetzt wird: Spricht man das Wort „Freiheit“ in der Politik aus, so erklärt Journalist Robert Misik, zucken Bürger der unteren Schichten inzwischen zusammen. Zu sehr sei dieses Wort bereits mit „freiem Markt“, (Neo-)Liberalismus und daraus folgenden „Reformen“ assoziiert. So wurde ein ehemaliges Euphoriewort zum Angstauslöser. Ohnehin entfalte der Freiheitsbegriff sein belebendes Pathos nur in seltenen Geschichtsmomenten: etwa 1989 in Europa oder aktuell bei den Aufständen der arabischen Welt – wenn Bürger „in gemeinsam genützter Freiheit ein Gemeinwesen aufbauen“. Ist die Freiheit aber realisiert, gehe ihre Energie, ihr Pathos unweigerlich verloren. Daraus resultiere das heutige Problem: „Eine Freiheit, die theoretisch gegeben, aber praktisch nicht belebt ist“, führe zur Abkopplung des Bürgers von der Politik.

Der taz-Redakteur Tim Caspar Boehne relativiert individuelle Entscheidungsfreiheit durch biographische Einflüsse, Konditionierung und finanziellen Stand. Wobei ökonomische Unabhängigkeit keineswegs größere Freiheit implizieren muß, denn solche Autonomie wird oft durch Unterwerfung der Lebensführung unter die Marktregeln erkauft.

Daß Entscheidungsfreiheit und neurobiologische Determination kein notwendiger Widerspruch seien, behauptet der Philosoph Rainer Schäfer. Dabei rekurriert er auf Kants Dualismus von der raumzeitlichen Beschränkung naturwissenschaftlicher Erkenntnis.

Solche Essays finden ihre Ergänzung durch Straßeninterviews: Auf „Wie definieren sie Freiheit?“ antwortete beispielsweise ein Student: „Freiheit ist der Zwang, sich selbst entwerfen zu müssen und so seine eigene Struktur zu schaffen.“

Grundsätzlich ist eine Fachzeitschrift für fundamentale Reflexion zu begrüßen. Aber noch herrscht zwischen den Autoren ein zu großer Gleichklang. Man ergänzt sich lediglich, „Austausch und Streitkultur“, wie Herausgeber Precht sie wünscht, fehlen fast gänzlich. Die aber sind nötig, damit neuartige Geistesfunken schlagen. Vom intellektuellen „Flächenbrand“ ganz zu schweigen.

Kontakt: agora42, DESA GmbH, Ziegelstraße 11, 71063 Sindelfingen. Telefon: 0 70 31 / 43 57 885. Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Jahresabonnement 42 Euro.  www.agora42.de

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