© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

CD: Humperdinck
Spielmanns Gesang
Jens Knorr

Engelbert Humperdincks Märchenoper „Königskinder“, nach ihrer Uraufführung 1910 an der New Yorker Metropolitan Opera als wertvollste deutsche Oper seit Wagners „Parsifal“ apostrophiert, tritt heute mehr und mehr aus dem Schatten von „Hänsel und Gretel“ heraus, ohne freilich ganz ins Repertoire der Opernbühnen zurückzufinden. Das Libretto von Elsa Bernstein, die unter dem Pseudonym Ernst Rosmer schrieb, vertonte Humperdinck 1895 zuerst als Melodram und entschloß sich zehn Jahre nach der Münchner Uraufführung 1897 zu einer Umarbeitung als durchkomponierte Oper.

Der gekürzten Einspielung unter Richard Kraus (1952), der ersten vollständigen unter Heinz Wallberg (1976), nicht aber der zweiten unter Fabio Luisi (1996), beide Male mit dem Münchner Rundfunkorchester, ist die neueste, ein Zusammenschnitt zweier konzertanter Aufführungen vom 15. und 17. Dezember 2008, unbedingt vorzuziehen. Einen Mitschnitt aus Montpellier unter Armin Jordan (2005) habe ich nicht hören können. Konsequenter noch als Luisi legt Ingo Metzmacher mit dem Deutschen Symphonie-Orchester und dem Rundfunkchor Berlin unter aller Sozialromantik eine unabgegoltene Geschichte von künstlicher Naivität frei: von einem Königssohn, der in einer Gänsemagd seine Königin erkennt, von den Bürgern Hellabrunns, die ihr Königspaar nicht anerkennen wollen und ihren Spielmann blenden, und von ihren Kindern, die mit dem Spielmann ziehen, ihre Königskinder zu suchen, zu finden und zu begraben.

Metzmachers immer forscher Zugriff bewahrt das Gesamtkunstwerklein davor, in dem mit Liebes- und Todessymbolik schwer befrachteten Libretto zu versinken und in süßem Musikbrei aus pantoffliger Spieloper und kleingehäkeltem Musikdrama zu ertrinken. Das schließt nicht aus, Emphase dort zuzulassen, wo sie die Partitur verlangt. Doch löst sich dem Dirigenten, der die Deutschen lehren will, sich furchtlos dem Deutschen in der Musik zu stellen, eben dieses auch dieses Mal in Wohlgefallen auf. Seine unverkrampfte Pose vermag nicht zu überdecken, daß es gar nicht zur Darstellung gebracht ist.

Juliane Banse als Gänsemagd singt damenhaft angestrengt und tremolös, Leichtigkeit und Naivität gehen ihr ab. Klaus Florian Vogt kommt mit der Partie des Königssohns an der Grenze zwischen lyrischem und jugendlichem Heldentenor zurecht, er offeriert sie allerdings durchweg mit fleckenreinem, indifferentem Ton. Gabriele Schnaut, weit über den Herbst ihrer Laufbahn hinaus, arbeitet nunmehr mit den Resten ihrer einst imposanten Stimme, so daß ihr die Rolle der prophetischen Misanthropin, die von den Bürgern zwischen den Aufzügen verbrannt wird, zur provinziellen Knusperhexe entgleist. Christian Gerhaher hat Timbre, Stimmkern und Kraft, den Spielmann vom ersten Auftritt bis zum ergreifenden Schlußmonolog als Zentrum der Aufführungen zu behaupten – von einigen Fischer-Dieskauismen in der Konsonantenbehandlung einmal abgesehen, ergreifend, weil unmanieriert.

Der Berliner Mädchenchor mit der Solistin Sophia Schupelius singt so klar und so klärend, daß den Hörer die verdammte Hoffnung auf die Kinder nicht verlassen kann.

Engelbert Humperdinck: Königskinder. Crystal Classics www.deltamusic.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen