© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Stachel im Fleisch
Thilo Sarrazin: Die von seinen Genossen beschlossene Migrantenquote hält er für Unsinn
Fabian Schmidt-Ahmad

Man konnte es durchaus als Provokation verstehen. Ausgerechnet im Berliner Stadtteil Nord-Neukölln, in der von muslimischen Arabern dominierten Sonnenallee, hielt Sarrazin einen Vortrag zu seinen in ganz Deutschland bekannten Thesen. Ganz Deutschland, aber offensichtlich nicht Nord-Neukölln. „Was ist denn hier los“, fragte verwundert ein vorübergehender Araber mit Kinderschar. Dem verständnislosen Blick nach zu urteilen, wußte er aber nichts mit dem Namen Sarrazin anzufangen.

Kein Problem, es protestierten stellvertretend für den bärtigen Mann rund hundert Deutsche lautstark vor dem Veranstaltungsort, dem Hotel Estrel. Nahezu alle mit heller Hautfarbe und offensichtlich keiner islamischen Gesinnung. Also ungefähr diejenigen, die Sarrazin drinnen „hoffnungslose Linksfaschisten“ nannte, „die das Lesen wie der Teufel das Weihwasser scheuen“. Zumindest schreien konnten sie, so Sachen wie „Deutschland schafft sich ab? Schön wär’s“ und „Sarrazin halt’s Maul“.

Der zeigte sich aufgeräumt und sichtlich zufrieden mit dem gescheiterten SPD-Ausschlußverfahren gegen ihn. „Ich bin weiterhin Mitglied der Partei. Und diejenigen, die meinen, daß sie sich blamieren sollten, haben sich blamiert.“ Und dafür, daß das weiterhin so bleibt, sorgt schon das enfant terrible der Sozialdemokraten. Die von der Parteispitze beschlossene Migrantenquote? Unsinn, urteilt Sarrazin. „Demnächst kommt noch wer auf die Idee, mit dem schulischen Zurückbleiben der Araber und Türken werden wir das so lösen, daß wir eine ‘Noten-Quote’ einführen.“

Vorwürfe aus dem Publikum, daß die Politiker die Verantwortung tragen würden, wies Sarrazin allerdings an den Bürger und dessen Wahlverhalten zurück. Meint Sarrazin das ernst? Er kenne viele Abgeordnete, die ihm in allen Dingen zustimmen würden, allerdings ohne Öffentlichkeit: „Alles kleine Opportunisten.“ Opportunisten erkennt man aber daran, daß sie keine Verantwortung übernehmen, auch keine Macht abgeben wollen. Ein anwesendes Mitglied der Bürgerbewegung „Pro Berlin“ wurde von Sarrazin jedenfalls scharf zurechtgewiesen.

Ein Gespenst geht um in der Partei. Was will Sarrazin hier eigentlich? Deutschland schafft sich ab, darauf wies er hin. Daß die etablierten Parteien dabei keine Abhilfe, sondern ein wesentlicher Bestandteil des Problems sind, hat der Umgang mit ihm selbst gezeigt. Hofft Sarrazin nun, daß sich seine Partei irgendwann ihrer sozialdemokratischen Werte besinnt? Dazu wird es nicht kommen, denn noch vor Deutschland hat sich bereits die SPD abgeschafft.

Das Parteibuch werde er mit ins Grab nehmen, hatte Sarrazin als Parole vor dem Parteiausschlußverfahren ausgegeben. Nun muß sich der Sozialdemokrat langsam fragen, ob nicht er es ist, der mit ins Grab gezogen wird. Immerhin, als folkloristische Erscheinung wird die SPD einem in Erinnerung bleiben. Beispielsweise als die erste Partei nach 1945, die dank Migrantenquote ihre Ämter nach rassischer Wertigkeit der Kandidaten vergibt.

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