© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Wie man den Euro retten könnte
Die Alternative
Hans-Olaf Henkel

Die jetzt von der Politik getroffenen Entscheidungen zur „Stabilisierung des Euro“ werden Europa entscheidend verändern: Aus einer Wettbewerbsgemeinschaft wird eine Transfergemeinschaft. Für die Segnungen dieser Einrichtung besitzen wir in Deutschland mit dem sogenannten Länderfinanzausgleich das beste Beispiel: Gegenwärtig gibt es bei uns von insgesamt 16 Bundesländern nur noch drei Geberländer. Glücklich sind eigentlich nur noch die Nehmerländer zu nennen. Wenn etwa Berlin einen Euro ausgibt, bekommt es von den weniger glücklichen Ländern 97 Cent zurück. Wenn dagegen Bayern einen Euro spart, muß es davon 97 Cent anderen abgeben. Seltsamerweise hat das für Bremen und für Bayern die gleiche Konsequenz: Sparen lohnt sich nicht.

Schon bevor mit der Griechenlandrettung und dem Euro-Schutzschirm Europa auf den Weg in eine Transfergemeinschaft gebracht wurde, hat uns Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit die Absurdität einer solchen Regelung vor Augen geführt. Er hat nämlich entschieden, daß demnächst den Berlinern freie Kindergartenplätze angeboten werden sollen, was die Eltern freuen und um so geneigter stimmen wird, ihn und seine Partei zu wählen. Nicht freuen wird es jene, die für die Millionen aufkommen müssen, nämlich Bayern und die anderen Geberländer, die sich im Würgegriff des Finanzausgleichs befinden.

Die absurde Konsequenz: Da die Sozialpolitiker in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg feststellen, daß Wowereit sich auf ihre Kosten einen wählerfreundlichen Luxus leistet, beschließen sie desgleichen zu tun, weil auch sie an ihre Wähler denken müssen: Auch bei uns sollen Kindergartenplätze nichts mehr kosten. Nun kann man sich leicht vorstellen, wie dieser Mechanismus, den man auch als System organisierter Verantwortungslosigkeit bezeichnen könnte, bei unseren europäischen Nachbarn wirken wird. Aus dem System dieser Ausgabeasymmetrien wird bald eine Leistungs- und Kostenspirale, an der jeder mit der Gewißheit teilnehmen kann, daß nur die letzten die Hunde beißen.

War die EU einst als eine Wettbewerbsgemeinschaft konzipiert, in der jeder den anderen an Produktivität und Lebensqualität zu übertreffen suchte, wird sie nun zur Umverteilungsgemeinschaft, bei der es eine neue Wettbewerbsdisziplin geben wird – nämlich, wer den anderen das meiste abknöpft. Daran werden weder die neue Wettbewerbsrhetorik der Bundeskanzlerin noch die diversen „Pakte für Wettbewerbsfähigkeit“, für den „Euro“ oder nun auch noch für den „Euro plus“ etwas ändern. Kurz gesagt: Die Frage ist nicht mehr, wer leistet am meisten, sondern wer leistet sich am meisten. Man kann sich denken, daß der Tugendhafte, auf dessen Kosten sich die anderen etwas leisten, die längste Zeit tugendhaft gewesen ist.

Für Deutschland wird dies auf Dauer die Konsequenz zeitigen, daß es sich immer weniger von den anderen unterscheiden wird, statt zusammen mit Holland, Österreich, Finnland, Luxemburg die Felsen in der Brandung abzugeben, die Stabilitätskultur über Bord werfen und den Abwärtstrend verstärken wird. Mit ihrer Zustimmung zu einer „Europäischen Wirtschaftsregierung“ wird nun endgültig die Angleichung innerhalb Europas statt der Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents gegenüber anderen außerhalb Europas im Vordergrund stehen.

Der GAU, den die Merkel-Regierung nun für uns vorprogrammiert hat, ist mitnichten, wie sie behauptet hat, „alternativlos“. Es gibt eine Alternative. Sie kam vom französischen Staatspräsidenten höchstpersönlich, dem stärksten Befürworter des Rettungsschirms. Am Vorabend der Verabschiedung des Pakets soll laut dem spanischen Präsi-denten Zapatero der französische Präsident Sarkozy damit gedroht haben, falls Deutschland den Vertragsbruch nicht mittragen würde, den Franc aus der gemeinsamen Währung zu nehmen, will sagen: Fortan hätte es neben dem Euro wieder den französischen Franc gegeben.

Kaum zu glauben: Der französische Präsident drohte den Vertretern der ehemaligen Hartwährung D-Mark damit, seine ungeliebte Weichwährung wieder einzuführen, die Frankreich selbst nicht schnell genug loswerden konnte. Und wir, das heißt die Regierung Merkel, fallen auf diesen Bluff herein. Das mindeste, was ich von der Bundesregierung erwartet hätte, wäre die passende Reaktion gewesen, nun ihrerseits diese Karte auszuspielen: Falls die EU in eine Transfergemeinschaft umgewandelt würde, die – in Analogie zum Länderfinanzausgleich – aus einer kleinen Minderheit von Geberländern und einer lachenden Mehrheit von Nehmerländern besteht, würde die Bundesrepublik die D-Mark wieder einführen.

In jedem Fall hätte die Kanzlerin gewonnen: Entweder wäre der fatale Rettungsschirm nicht gekommen, oder die Deutsche Mark wäre wieder eingeführt worden. Statt dessen hat die Kanzlerin sich für den Weg des geringsten Widerstands entschieden und all das unterschrieben, was für das Land, dessen Nutzen zu mehren sie geschworen hatte, Schaden bringen wird. Übrigens auch für Europa. Ich glaube an Europa, aber nicht an die fixe Idee der Technokraten, die alles über einen Leisten schlagen möchten und jede nationale Abweichung als Bedrohung empfinden, ich glaube an das Europa der Vielfalt. Wir brauchen die Nationalstaaten, die sich durch Wettbewerb untereinander profilieren, aber auch gegenseitig zu Höchstleistungen anstacheln. Nur wenn die europäischen Staaten ihre marktwirtschaftliche Wettbewerbskultur weiterentwickeln, können sie in der globalen Konkurrenz mit den anderen Weltteilen mithalten. Europa hat seinen Glanz dem Wettbewerb der Nationen zu verdanken – die nun beschlossene Transfergemeinschaft wird dagegen für schnelle Abstumpfung sorgen: Man strebt nicht nach oben, sondern orientiert sich nach unten.

Weil ich keine Chance mehr für den Einheitseuro sehe, es sei denn zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Kontinents, habe ich mir die Devise „Abkehr vom Schuldenstaat! Abschied vom Einheitseuro!“ zu eigen gemacht. Will Europa von einem zentral geregelten Transferverbund zu einer kreativen Wettbewerbsgemeinschaft zurückkehren, weil es seine Stabilität und zugleich seine globale Konkurrenzfähigkeit behalten will, so braucht es ein Währungssystem, welches den in Europa vorherrschenden kulturellen und wirtschaftlichen Unterschieden Rechnung trägt.

Als Alternative zur „alternativlosen“ Umwandlung von einer Währungs- und Wirtschafts- zu einer Transfergemeinschaft schlage ich deshalb den gemeinsamen Ausstieg solcher Länder aus dem Einheitseuro vor, die auf eine lange Stabilitätskultur zurückblicken können. Neben den Ausstiegsländern Deutschland, Österreich, Finnland und anderen könnten auch Länder, die heute noch nicht in der Eurozone sind und auf eine ähnliche Tradition ihrer Währungs- und Haushaltsdisziplin zurückblicken können, wie zum Beispiel Schweden, einen „Nordeuro“ mitbegründen.

Für die Mehrheit der heutigen Euroländer bliebe der jetzige Euro erhalten. Unter der Führung Frankreichs würde die Mehrheit der heutigen Länder der Eurozone den jetzigen Euro weiter als Zahlungsmittel benutzen und könnte sich ebenfalls um weitere Mitglieder aus der Reihe der derzeitigen zehn EU-Länder erweitern, die heute noch nicht in der Eurozone sind, aber eine ähnliche Kultur in der Währungs- und Budgetpolitik verfolgen. Da sich die Vertreter ihrer Zentralbanken für den Eurobond aussprechen, der deren Schulden vergemeinschaftet, spricht auch nichts dagegen, diesen für sie einzuführen.

Der Weg dorthin ist nicht einfach und bedarf gründlicher politischer und technischer Vorbereitung. Vor allem müssen Risiken wie eine Verunsicherung der internationalen Finanzmärkte, der Sparer im Süden und der Exportwirtschaft im Norden erkannt und eingegrenzt werden. Parallel muß der teilweise immer noch marode Bankensektor saniert werden, denn heute schon stellt sich so manche Initiative zur Rettung des Einheitseuro in Wirklichkeit als Bankenrettung dar. Es muß eine Lösung für die Altschulden gefunden und verhindert werden, daß plötzlich ein Land allein dasteht, was zum Beispiel in Griechenland der Fall wäre, wenn die Drachme wieder eingeführt würde.

Die im Einheitseuro verbleibenden Länder könnten durch eine höhere Toleranz gegenüber Inflation und entsprechende regelmäßige Abwertungen ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Sie brauchten sich nicht weiter von der EU und der EZB in die „Zwangsjacke germanischer Stabilitätsphobie“ zwängen zu lassen, genauso empfinden es die aufgebrachten Studenten in Athen und die wütenden Arbeitslosen in Madrid. Anstatt sich von außen eine Schrumpfung ihrer Wirtschaftsleistung und die Erhöhung der Abeitslosigkeit aufzwingen zu lassen, können sie wieder das tun, was sie vor der Einführung des Euro auch konnten: auf ihre Art wettbewerbsfähig bleiben.

Kann jemand ernsthaft glauben, daß Griechenland oder Portugal ihren Schuldenberg abbauen können, indem sie ihr eigenes Wachstum abwürgen, Insolvenzrekorde ihrer Unternehmen verzeichnen, Arbeitslosigkeit induzieren und somit die Steuerbasis austrocknen? Diese Länder haben seit der Einführung des Euro mehr als ein Drittel ihrer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland eingebüßt; weil sie weder durch Reformen reagieren wollten, noch durch Abwertungen reagieren konnten. Der derzeitige Kurs der Europapolitiker nimmt ihnen jede Perspektive.

„Scheitert der Euro, scheitert Europa“, proklamiert die Kanzlerin. Das ist nicht nur falsch, es ist leichtsinnig und verantwortungslos. Es ist falsch, weil es Europa auch schon vor der Einführung des Euro gab und auch nach einem Einheitseuro geben wird, nebenbei ist auch heute der Euroraum noch lange nicht identisch mit dem viel größeren Europa. Es ist leichtsinnig, weil Alternativen zum Tabu erklärt und damit jede Verhandlungsposition der Deutschen im europäischen Poker um glaubwürdigere Stabilitätsmechanismen untergraben werden. Es ist verantwortungslos, denn ein Scheitern des Einheitseuro kann man nicht mehr ausschließen, und gerade für diesen Fall muß doch möglicher Panik vorgebeugt werden anstatt, sie von oben zu züchten.

Besonders kritikwürdig sind Voraussagen, daß das gedeihliche Zusammenleben in Europa, ja sogar der Friede, gefährdet würde. Eher ist die Geschichte Zeuge zahlreicher Beispiele für das Gegenteil. Wo immer künstlich Vielvölkerstaaten zusammengepreßt wurden, entwickelten sich Fliehkräfte, die dann oft nicht mehr zu kontrollieren waren. Auch hier lassen die jüngsten Beispiele Tschechoslowakei, Jugoslawien und die UdSSR grüßen. Sie sind nicht wegen des Scheiterns des Kommunismus, sie sind durch seine Überwindung auseinandergefallen. Es hat noch nie funktioniert, Ängste vor etwas mit dem Schüren von noch größeren Ängsten vor etwas anderem zu bekämpfen. Es war immer schon besser, ein Ende mit Schrecken zu provozieren, als ein Schrecken ohne Ende zu tolerieren.

 

Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel, Jahrgang 1940, Volkswirt, war Chef der IBM Deutschland, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und der Leibniz-Gemeinschaft. Heute lehrt er als Honorarprofessor an der Universität Mannheim.

Hans-Olaf Henkel: Rettet unser Geld! Deutschland wird ausverkauft – Wie der Euro-Betrug unseren Wohlstand gefährdet, Heyne Verlag, München 2010. In dem Buch schildert Henkel            seine Wandlung vom Euro-Paulus zum Euro-Saulus.

Foto: Harter Kern, weicher Rand: Hans-Olaf Henkel möchte einen Hartwährungsraum im Norden und einen Weichwährungsraum für die Mittelmeeranrainer im Süden Europas etablieren

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