© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Viel Schlamperei und lauter Doppelagenten
Der Journalist Peter-Ferdinand Koch enttarnt die bundesdeutschen Geheimdienste nach 1945
Wolfgang Kaufmann

Von Harry Rositzki, einem Sowjetexperten der CIA, stammt folgende Äußerung zum Umgang mit NS-belasteten Personen während der Zeit des Kalten Krieges: „Es war notwendig, daß wir jeden Schweinehund verwendeten. Hauptsache er war Antikommunist.“ Und ganz ähnlich hielten es dann auch die Geheimdienste der jungen Bundesrepublik, welche sich unter den Augen der CIA formierten. Das Problem war nur, daß die Kader der Organisation Gehlen (aus der dann 1956 der Bundesnachrichtendienst entstand), des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), welche das Antikommunismus-Kriterium locker erfüllten, trotzdem höchst unsichere Kantonisten sein konnten.

Hierzu ein typisches Beispiel: Der ehemalige SS-Oberführer und Oberst der Polizei Wilhelm Krichbaum, der sich unter Hitler bis zum stellvertretenden Gestapochef hochgedient hatte und dann in der Organisation Gehlen den Posten des Leiters einer Bezirksverwaltung bekleidete, war zugleich Agent des KGB, der ihn wegen seiner Beteiligung an Massenmorden in der Sowjetunion zu erpressen vermochte. In dieser Eigenschaft wiederum holte Krichbaum einen weiteren UdSSR-Spion, nämlich Heinz Felfe, mit ins Boot. Der war früher als SS-Obersturmführer in Himmlers Auslandssicherheitsdienst tätig gewesen und hangelte sich nun ebenfalls im Solde des KGB die Karriereleiter hoch, bis er ausgerechnet auf dem Stuhl des Leiters des BND-Referates „Sowjetunion“ landete.

Über diese zwei bemerkenswerten Karrieren informiert Peter-Ferdinand Kochs Buch „Enttarnt“. Ebenso nennt Koch, der früher für die Hamburger Morgenpost und den Spiegel schrieb, noch zahlreiche andere „Maulwürfe“ mit NS-Vergangenheit innerhalb der Organe zum Schutze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland beim Namen: Da wäre beispielsweise Leonhard Halmansegger, vor 1945 SS-Hauptsturmführer und Gestapo-Angehöriger, später tätig für den Verfassungsschutz und den BND sowie aber auch für den Geheimdienst der Roten Armee, die GRU. Oder Ebrulf Zuber, vormals Mitarbeiter der Amtsgruppe D des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes, welche für die Konzentrationslager zuständig war, dann Chef der BND-Abteilung für die Ausforschung des Ostblockes und ebenfalls ein Maulwurf der GRU.

Oder Ludwig Albert, im Krieg Angehöriger einer der berüchtigten Einsatzgruppen im besetzten Teil der UdSSR, später leitender Mitarbeiter in der Organisation Gehlen sowie Agent des amerikanischen CIA und des KGB. Oder, oder, oder – diese Aufzählung ließe sich noch endlos fortsetzen, denn laut Koch waren allein im BfV und den Landesämtern für Verfassungsschutz an die 800 NS-Karrieristen untergekommen, von denen nicht wenige ein falsches Spiel trieben.

Darüber hinaus berichtet das Buch aber auch über jene Doppelagenten, welche sich dem KGB und der GRU oder alternativ den DDR-Auslandsgeheimdiensten Hauptverwaltung Aufklärung oder Hauptabteilung II des Ministeriums für Staatssicherheit freiwillig andienten – und zwar zumeist wegen diverser Charakterschwächen oder aus Geldnöten. Darunter befanden sich solche prominenten Figuren wie Klaus Kuron und Hansjoachim Tiedge vom Bundesamt für Verfassungsschutz sowie Joachim Krase, der von 1980 bis 1984, also zur Zeit der vermeintlichen „Homosexuellen-Affäre“ gegen den Bundeswehrgeneral Günter Kießling, als Vizechef des MAD fungierte. Dabei kommt nebenher mit zur Sprache, daß die westlichen Partnerdienste, darunter natürlich die CIA, aber auch der französische Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionage (SDECE), den Braten meist schon sehr zeitig rochen und deshalb ein ausgeprägtes Mißtrauen gegenüber den bundesdeutschen Schlapphüten entwickelten.

Höchst aufschlußreich sind zudem Kochs detaillierte Ausführungen über die krasse Vetternwirtschaft, Inkompetenz und bürokratische Verkrustung innerhalb der bundesdeutschen Dienste während der Vergangenheit. Nur ein Beispiel hierzu: Um Geld zu sparen, verschickte das BfV noch in den achtziger Jahren hochsensible Geheimdokumente statt über einen eigenen Kurierdienst mit der Post – im blinden Vertrauen darauf, daß schon kein Unbefugter seine Nase in die mysteriösen „Wertbriefe“ des Bundesamtes hineinstecken wird! 

Symptomatisch ist zudem auch das weitgehende Scheitern der dilettantischen Versuche, führende Ex-Geheimdienstler der DDR nach 1990 zum Verrat der „Maulwürfe“ zu bewegen. Die meisten alten „Tschekisten“ zeigten nämlich nur ein spöttisches Desinteresse, als die täppischen Kollegen von der anderen Seite im Akkord in den Stasi-Villen von Ost-Berlin antichambrierten und Judaslöhne in harter D-Mark offerierten. Deshalb konnten viele Doppelagenten bis heute nicht enttarnt werden, was ihnen die Möglichkeit gibt, ihre „wohlverdienten“ Pensionen zu genießen.

Alles in allem bietet Koch also ein ebenso erheiterndes wie erschütterndes, auf jeden Fall aber höchst lesenswertes Kompendium des Versagens von BND, Verfassungsschutz und MAD während der Zeit des Kalten Krieges und der „Wende“, nach dessen Lektüre man sich augenreibend fragt, wieso eigentlich die DDR beziehungsweise die Sowjetunion kollabiert sind und nicht die Bundesrepublik Deutschland – an der Effizienz der Geheimdienste der beiden „Arbeiter- und Bauernstaaten“ dürfte es jedenfalls kaum gelegen haben. Zugleich ist das Buch, das sicher nicht ganz zufällig von einem österreichischen Verlag herausgebracht wurde, ein Lehrstück, wie aus Organisationen, die einstmals als Sammelbecken und als Unterschlupf für NS-belastete Personen oder sogar für NS-Verbrecher dienten, Werkzeuge der Demokratie wurden, die nun einen Teil ihrer Existenzberechtigung daraus ableiten, daß sie die „rechte Gefahr“ bekämpfen.

Peter-Ferdinand Koch: Enttarnt. Doppelagenten: Namen, Fakten, Beweise. Ecowin Verlag, Salzburg 2011, gebunden, 472 Seiten,  Abbildungen, 24,90 Euro

Foto: Reinhard Gehlen (l.) mit US-Verbindungsoffizier Waltman (ganz rechts) in Zürich, um 1949: Man fragt sich, wieso eigentlich die DDR und die Sowjetunion kollabiert sind und nicht die Bundesrepublik

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