© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Der Flaneur
An der  Kasse
Josef Gottfried

Eifersüchtig lege ich den Warentrenner auf das Band, daß ich ja kein Produkt meines Hintermanns versehentlich mitbezahle. Mit einem flüchtigen Nicken versuche ich ihm zu versichern, daß dieses Mißtrauen sich ja nicht gegen ihn persönlich richte, aber daß man ja nie wissen könne, das sei nur so eine prinzipielle Angelegenheit. Doch mein Hintermann reagiert nicht und strahlt nur diesen Groll aus, den manche philosophisch angebrüteten Denker gegenüber Supermarktwarteschlangen wie dieser zu empfinden scheinen. Und das, obwohl sie selbst in ihr stehen.

Vor mir verzögert sich der Bezahlbetrieb am Kassenarbeitsplatz. Eine müde Frau, schlank, 29, sportlich, kräftige Schultern, Kletterin vielleicht, jedenfalls mit bunten Strumpfhosen unter ihrem eleganten Rock, gibt die Geheimnummer ihrer EC-Karte zum zweiten Mal falsch ein. Hinter ihr ein Rollkoffer, teure Ausführung. Sie wird nervös. Und wie eine vom Fuchs bedrohte Henne, die sich weder für die Flucht, noch für den Angriff entscheidet, sondern zu picken beginnt, tut sie so, als ob sie mit ihrer Nase kurz über die Schulter reibt, um ein Jucken zu beenden.

In Wirklichkeit hat sie aber geprüft, ob ihre Achseln riechen. Sie gibt den Code ein drittes Mal ein. Es funktioniert, selbst ich bin erleichtert. „Sorry“, sagt sie, „Jetlag.“ Die Kassiererin, übergewichtig, 55, rausgewachsene Haarfärbung, Sehnenscheidenentzündung im Handgelenk, schaut zu ihr auf und scheint an ihren letzten Urlaub auf Menorca zu denken.

Dann spüre ich einen kurzen, starken Schmerz in der Ferse. Mein Hintermann hat mir den Einkaufswagen in die Hacke gerammt. „Au“, sage ich in einem Tonfall zwischen weinerlich und empört, dann schaue ich über die Schulter nach hinten, ohne mich ganz umzudrehen. „Entschuldigen Sie bitte“, sagt der Philosoph in vollendeter Höflichkeit. Universelles Bildungs- und Lebensprogramm

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