© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/11 27. Mai 2011

Neue Publizisten braucht das Land
„Bild“-Stil und Aufsehergesinnung: Die vermeintliche Qualitätspresse hat erheblich an Niveau verloren
Günter Zehm

Als Gerhard Schröder (SPD) einst befragt wurde, was er bei seinen Entscheidungen – außer Parteibeschlüssen und gelegentlichen überparteilichen Absprachen – sonst noch berücksichtigen müsse, antwortete er: „Zum Regieren brauche ich nur Bild und die Glotze.“ Mit „Glotze“ meinte er das Fernsehen, mit Bild jene Boulevardzeitung mit den großen Buchstaben aus dem Hause Spinger, die hierzulande zum Symbol für einflußreichen Printjournalismus geworden ist. Wer sich im Machtdreieck zwischen Parteien, Glotze und Bild bewegt, so wollte Schröder sagen, braucht keine Angst vor anderen Gruppierungen oder vor dem „Volk“ im ganzen zu haben.

Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Man spricht zunehmend von „Zeitungskrise“, hier und da sogar von „Medienkrise“. Das Internet mit Twitter und Facebook macht dem vom Staat und von großen Konzernen beherrschten politisch-medialen Komplex immer schärfer Konkurrenz, entscheidet von sich aus über Krieg oder Frieden, Revolution oder Restauration, siehe den „Arabischen Frühling“, siehe die neuesten Vorgänge in Spanien! Der Staat knickt vor den „Wutbürgern“ überall ein, die etablierten Medien ihrerseits verdienen im Internet nicht ordentlich Geld, die Druckauflagen sinken, die Glaubwürdigkeit der gebotenen Inhalte schwindet.

Die Krise hat nicht nur die „Glotze“ und die „populären“ Medien (Bild, Spiegel) erfaßt, sondern auch die sogenannte „Qualitätspresse“ (Frankfurter Allgemeine, Süddeutsche Zeitung, Die Welt); deren Online-Dienste sind in Aufmachung und geistigem Niveau kaum mehr von den Onlinern von Bild und Spiegel zu unterscheiden. Die Bild-Zeitung, die in ihren besten Zeiten eine Auflage von über vier Millionen erreichte, weist im ersten Quartal dieses Jahres gerade noch eine verkaufte Auflage von etwa 2,85 Millionen aus, was nicht nur an ihrer aufdringlichen Political Correctness liegt, sondern auch daran, daß heute alle Konkurrenten inklusive der vermeintlichen Qualitätspresse den typischen Bild-Stil übernommen haben.

Das Blatt hat sich gewissermaßen totgesiegt. Die ungenierte Vermischung von öffentlicher und privater Sphäre, welche einst ihr Markenzeichen war, die penetrante Durchsexualisierung sämtlicher Themen und Texte, die Dauerblicke und Dauerschläge unter die Gürtellinie – all das ist zum allerseits akzeptierten Usus geworden, welchen auch Schöngeister und Klosterschüler wie selbstverständlich erwarten, wenn sie zu „ihrer“ Zeitung greifen. Wie ließ schon vor zweiundzwanzig Jahren der Schriftsteller Thomas Bernhard seinen hochintellektuellen „Professor Robert“ in seinem Sensationsstück „Heldenplatz“ sprechen? „Das sogenannte hohe Niveau ist immer langweilig gewesen. Was wir in den Zeitungen suchen, ist ja der Abschaum. Wenn ich ehrlich bin, ziehe ich den Dreck vor.“

Parallel zum Dreck hielt die Gleichförmigkeit, die Unifomität der Ansichten und Meinungen Einzug in die „Qualitätspresse“. Es herrscht, speziell in politischen Fragen, eine Aufsehergesinnung, die man zu Thomas Bernhards Zeiten für völlig unmöglich gehalten hätte. Vergleicht man etwa die Ausgaben der Welt beziehungsweise Süddeutschen Zeitung von vor zwanzig Jahren mit denen heute, so glaubt man sich in anderen Welten. Damals schärfste, gleichwohl stets interessante Kontroversen zwischen den beiden Seiten, heute gleichförmiger Info-Brei, der das Wichtigste von vornherein unter dem Teppich hält und sich nicht einmal zu halbwegs wahrnehmbarem Meinungsaustausch aufraffen kann.

Noch heute darf man sich darüber wundern, daß im vorigen Jahr zwei populäre Medien, Bild und Spiegel, sich zu Vorabdrucken aus dem Sarrazin-Buch „Deutschland schafft sich ab“ entschlossen – und damit seit langer Zeit wieder einmal eine wirkliche öffentliche Diskusssion auf breitester Grundlage auslösten. Die Diskussion geschah aber eindeutig gegen die ursprüngliche Absicht der Beteiligten, wie ihren Reaktionen nur allzu deutlich anzusehen war. Es war ein Ausbruch von unten, und er wurde, so gut es ging, schnell wieder niedergemacht, von Angela Merkel genauso wie von Sigmar Gabriel, von der Welt genauso wie von der Süddeutschen, von der Bild-Zeitung genauso wie vom Spiegel. Die Neue Zürcher Zeitung attestierte damals den großen deutschen Medien einen Tenor von „hysterischer Durchschnittlichkeit“ und sagte ihnen eine trostlose Zukunft voraus.

Und wie steht es mit den „kleinen“ Medien in Deutschland, mit Zeitungen wie der JUNGEN FREIHEIT etwa, die sich so wacker bemüht, den wirklichen Interessen der Deutschen eine öffentliche Stimme zu leihen? Können sie und ihresgleichen Hoffnung aus der neuen Lage schöpfen? Die neuen „Wutbürger“ scheinen vorerst leider nur Bürger der „Stimmungsdemokratie“ zu sein, wie das der französische Politologe Paul Virilio genannt hat („démocratie d’émotion“). Sie mosern zunächst bloß herum, schwanken von einer momentanen Gemütslage in die andere und wissen wenig mit ihrem (gerechten) Zorn anzufangen.

Wer das ändern will, wer statt bloßer Stimmungsdemokratie mit publizistischen Mitteln echte „Meinungsdemokratie“ („démocratie d’opinion“) befördern will, um so wahre Entscheidungsfreude möglich zu machen, der hat sich, so scheint’s, auf wahrhaft herkulische Unternehmungen eingelassen, greift er doch dem politisch-medialen Komplex direkt in den Rachen. Und er muß dabei populär sein und doch strikt seriös bleiben, um nicht unter jene angeberischen Internetfreaks zu geraten, die angeblich ganze Revolutionen herbeitwittern und doch nur heiße Luft für die etablierten Medien produzieren. Aber immerhin: Die Zeiten stehen endlich wieder nicht schlecht für gute Publizisten.

Foto: Günter Zehm:  „Die Glaubwürdigkeit der Inhalte schwindet“

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