© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

„Feuer und Flamme für die Heimat“
Vertriebene: Das traditionelle Deutschlandtre_ en der Ostpreußen in Erfurt zwischen Erinnerungsarbeit und jugendlicher Begeisterung
Henning Hoffgaard

Traurig schaut die ältere Dame auf ihre Bernsteinbrosche: „Früher hatte ich davon zwei.“ Diese eine Brosche konnte sie vor der marodierenden sowjetischen Soldateska retten, die im Winter 1944/45 in Ostpreußen einmarschierte. Viele andere hatten weniger Glück und starben während der kalten Nächte auf elenden Flüchtlingstrecks oder wurden ermordet. Die Überlebenden und deren Nachkommen haben sich in der Landsmannschaft Ostpreußen zusammengeschlossen, die am vergangenen Wochenende zum traditionellen Deutschlandtreffen nach Erfurt geladen hatte.

Aus ganz Deutschland kommen die Busse. Immer wieder spielen sich herzzerreißende Szenen ab. „Bist du es wirklich?“ – Menschen, die sich jahrelang nicht gesehen haben, fallen sich tränenreich in die Arme. Wiedersehen macht Freude. Die Ostpreußen sammeln sich in der großen Halle der Messe Erfurt. Es herrscht ein buntes Durcheinander. Fotos werden ausgetauscht und neue geschossen, viele schwelgen in Erinnerungen. Aufgeteilt nach Heimatkreisen, haben es sich die Teilnehmer auf langen Holzbänken bequem gemacht. Doch nicht jeder findet alte Bekannte. Eine 81 Jahre alte Ostpreußin sitzt ganz allein an einem Tisch. Aus ihrer Gemeinde ist niemand gekommen. „Schade, so ist es doch langweilig“, meint sie. Dabei habe sie sich extra eine schöne Tracht gekauft.

Nebenan, am Stand des „Zentralrates des Vertriebenen“, wird lautstark diskutiert. „Die Bundesregierungen haben die deutschen Vertriebenen verraten und verkauft“, steht auf einem Plakat. Neben allerlei Informationsbroschüren liegen auch Formulare zur Anmeldung von Eigentumsansprüchen aus. Viele greifen zu. „Informiert euch“, ruft einer. Insgesamt eine „tolle Sache“, konstatieren die Anwesenden. Nur eines macht den alten Ostpreußen Sorgen. Die Jugend. „Die Alten werden ignoriert und beiseite geschoben, und die Jungen interessieren sich nicht mehr dafür“, resigniert ein älterer Herr.

Die stehen allerdings nur einige Stände weiter und nennen sich „Bund Junges Ostpreußen“. Etwa zehn junge Männer und Frauen zwischen 16 und 30 Jahren verteilen fleißig ihre Flugblätter und versuchen unter dem Motto „Feuer und Flamme für die Heimat“, mit der Vertriebenengeneration ins Gespräch zu kommen. Unter ihnen ist auch der 28 Jahre alte Martin. Seit zwei Jahren ist er dabei, erzählt er. Auch seine Familie sei am Ende des Zweiten Weltkrieges geflohen. Um die Erinnerung wachzuhalten, hat er sich den 600 Mitglieder zählenden jungen Ostpreußen angeschlossen. „Wenn die Spaßgesellschaft erst mal am Ende ist, werden sich die Menschen auch wieder für die gesamte Geschichte interessieren“, sagt er mit einem Lächeln. Bis dahin will er so viele Jugendliche wie möglich für das Thema sensibilisieren.

Am Sonntag steht dann die traditionelle Großveranstaltung mit 3.000 Teilnehmern an. Applaus brandet auf, als die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, die Bühne betritt.

Egal ob Atomkraft oder Autobahnen, „nichts machen sich die Menschen in Deutschland leicht“, wettert die 67 Jahre alte CDU-Politikerin. Besonders nicht das Andenken an das Leid der Vertriebenen. „Nur bei Krötentunneln und Aids-Galas, da wollen alle mitmachen.“ Wenigstens bei der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ habe man den Einfluß im Gegenzug für ihren Verzicht auf einen Sitz im Stiftungsrat ausbauen können. „Da kann jetzt auch kein Außenminister mehr reinreden“, sagt sie mit Blick auf die Angriffe Guido Westerwelles gegen ihre Person. Doch nicht nur deswegen ist der FDP-Politiker ein rotes Tuch für die Vertriebenen. Erst vor kurzem gedachte Westerwelle den Rotarmisten, die 1945 Königsberg eroberten und danach Tausende ermordeten. „Da braucht wohl jemand dringend Nachhilfeunterricht“, ruft der Sprecher der Landsmannschaft, Stephan Grigat.

Die zahlreichen Versprechen, die CDU/CSU und FDP den Vertriebenen während der Oppositionsjahre gemacht haben, müßten nun schnell eingelöst werden. So sei es schlicht skandalös, daß deutsche Zwangsarbeiter keine Rentenansprüche für ihre Arbeit erhalten hätten. „Ganz Osteuropa war nach 1945 eine große Sklavenarbeiterregion“, da wäre es nur das mindeste, daß diese Deutschen für ihre Arbeit bei Polen, Tschechen und Jugoslawen entschädigt werden, fordert Steinbach. Ein deutschlandweiter Gedenktag für die Vertriebenen sei da das richtige Zeichen.

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