© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Staubsauger der Zurückgebliebenen
Henning Hoffgaard

In der CDU wird nach den jüngsten Wahlniederlagen heftig über den künftigen Kurs der Christdemokraten diskutiert, nur über den Konservatismus will dabei in der Union (fast) niemand mehr reden.

Wenn die Union also zu diesem Thema schweigt, reden eben die Grünen darüber. „Was ist Konservatismus?“ fragte am vergangenen Dienstag in Berlin die der Partei nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung. Die Frage beantworten sollten die Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin-Göring-Eckardt (Grüne), die Journalistin Susanne Höll (Süddeutschen Zeitung) und Gerd Langguth, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und früherer Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Über den Zustand der Union wollte an diesem Abend aber nur das fast schon gutbürgerliche Stammpublikum der Grünen-Stiftung reden. Die Diskutanten selbst sprachen zunächst viel lieber über das grüne Lieblingsthema „Atomkraft“. Ist die nun eigentlich „liberal, konservativ oder sozialdemokratisch?“ fragt Höll. Eine Antwort findet keiner, aber zumindest einen Schuldigen. An der Atomkraft sei vor allem die SPD schuld, meint Langguth. Die damit verbundene Fortschrittsgläubigkeit habe die CDU erst später übernommen und aktuell trenne sie sich davon auch wieder.

Und so enthüllt Göring-Eckardt dann auch endlich, wer nun wirklich konservativ sei: die Grünen. Schließlich käme „konservativ“ ja von „bewahrend“ und jeder, der die Umwelt bewahren wolle, müsse schließlich per Definition konservativ sein, meint die Theologin. Zwar gäbe es da auch noch Werte wie „Vaterland, Nation, Bundeswehr, Leitkultur und innere Sicherheit“, wendet Langguth ein, aber man dürfe nicht vergessen, daß dies nur ein kleiner Teil des Wertefundaments der CDU ist. Auch der Liberalismus und die christliche Sozialethik spielten eine wichtige Rolle. Trotzdem, so sind sich alle einig, dürfe die Union ihre Aufgabe als Staubsauger für die „Zurückgebliebenen, Nationalbewußten und an alte Rollenbilder Klebenden“ nicht aufgeben. „Sonst kommen andere Rattenfänger“, warnt Höll.

Aber nicht nur die CDU hat sich in den vergangenen 20 Jahren stark verändert, auch die Grünen, so viel wird an diesem Abend deutlich, sind längst keine revolutionäre Antipartei mehr. Hatte diese in den Anfangsjahren noch gefordert, die finanziellen Zuschüsse der öffentlichen Hand an die politischen Stiftungen zu stoppen, zeigt die imposante Glasfassade des Hauptgebäudes der Grünen-Stiftung unweit der Friedrichstraße, was davon noch übrig ist. „Wenn Steuergeld erst mal fließt, sind alle gleich“, stichelt Langguth.

Ansonsten versteht man sich an diesem Abend jedoch prächtig. Beide Parteien, Grüne wie Union, seien heute bürgerlich und hätten mittlerweile viele Gemeinsamkeiten, stellen die Teilnehmer übereinstimmend fest. Und die Konservativen? Bei dem „Personal“ kann man die Konservativen in der CDU nur bemitleiden, sagt Höll und weiß dabei wahrscheinlich gar nicht, wie recht sie damit hat.

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