© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

„Je grüner die CDU, desto glaubwürdiger das Original“
Jahrestagung des Wirtschaftsrates: RWE-Chef Jürgen Großmann sprach aus, was viele CDU-Mitglieder von der Energiewende halten
Christian Dorn / Jörg Fischer

Volkswirtschaftlicher Sachverstand ist in den deutschen Volksparteien kaum noch vertreten“, klagt Ulrich Tang, Vorstand der Deutschen Magnetbahn-Initiative. Die im Anschluß an die Vorträge des diesjährigen CDU-Wirtschaftsrates gemachte Äußerung kommt nicht von ungefähr, scheint doch der Kernkraft hierzulande dasselbe Schicksal beschieden wie der Magnetschwebebahn. Geht es nach den Plänen der Bundesregierung, so ist für die Atomkraft „die Messe gelesen“. Dies, so Jürgen Großmann, sei der Tenor, mit dem ihm CDU-Politiker in den jüngsten Tagen entgegengetreten seien.

Und so machte es dem RWE-Chef sichtlich Freude, als Gastredner in Berlin der Energiepolitik der Bundesregierung in einer „Wutrede“ (Süddeutsche Zeitung) die Leviten zu lesen und vor einer „Öko-Diktatur“ zu warnen. Großmanns Generalabrechnung war ganz im Sinne des CDU-Wirtschaftsrates, dessen Präsident Kurt Lauk eine klare Orientierung bei der Energieversorgung angemahnt hatte.

Wie sehr es daran mangelt, machte Großmann klar, als er der Union vorwarf, bei ihrer Energiewende weder die Widersprüche noch die Zielkonflikte zu thematisieren. Bislang fehle ein glaubwürdiges Gesamtkonzept ebenso wie der Ausweis wirtschaftlicher Vernunft. Daß die Politik „der Überprüfung durch Grundrechenarten standhalten“ müsse, verdeutlichte der industrieerfahrene Manager (bis 2006 Unternehmensfüher in der Stahlbranche) an der zu erwartenden Strompreisentwicklung: Die vier- bis neunfachen Kosten künftiger Energieerzeugung würden Strom nicht billiger machen – im Gegenteil. Daß Großmann den etwa tausend Teilnehmern des Wirtschaftstages aus der Seele sprach, machte der langanhaltende Beifall deutlich. Kurt Lauk zog angesichts der jüngsten Wahlniederlagen ein politisches Fazit: „Je grüner die CDU wird, desto glaubwürdiger wird das Original“.

Angesichts der Emotionen in der Ener­giepolitik erschien das zweite Hauptthema des Wirtschaftstages – die Euro-Krise – fast wie ein Nebenkriegsschauplatz. Der italienische Zentralbankchef und voraussichtlich künftige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, forderte eine Regulierung der Finanzmärkte und kritisierte die haushaltspolitische Disziplinlosigkeit in einigen EU-Ländern. Ursache für letzteres sei eine „unheilige deutsch-französische Kooperation“ gewesen, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt schon vor Jahren verletzt habe, erläuterte EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark.

Trotz kritischer Worte zog er die europäische Währungsunion ebensowenig in Zweifel wie der einstige wirtschaftsliberale Hoffnungsträger Friedrich Merz. Auch der einstige CDU-Vize legte ein klares Bekenntnis zum Euro ab und verteidigte die milliardenschwere Solidarität mit Griechenland, Irland und Portugal. Merz kritisierte zwar die Vokabel „alternativlos“, letztlich seien die Rettungspakete aber notwendig gewesen. Kritischer sah er die Finanzkrise, die „nicht global“ sei, sondern eine Verschuldungskrise öffentlicher und privater Haushalte in den USA wie in Europa. Die Krise sei alles andere als überwunden: „Sie ist tiefer als zuvor.“ Zudem verschöben sich die politischen Gravitationsfelder: „Relativ nimmt die Bedeutung Europas auf dieser Welt nicht zu, sondern ab.“ Der Besuch Obamas in China versinnbildliche den globalen Wandel seit Nixons Peking-Visite 1972: 2009 besuchte der weltgrößte Schuldner den größten Gläubiger.

Anders als noch beim Wirtschaftstag 2005, als Merz der große Star war und einen radikalen Umbau à la Thatcher propagierte, blieb er bei den Problemlösungen diesmal im Ungefähren. So empfahl er Griechenland etwa eine Rückbesinnung auf seine einstige Textilindustrie.

Einige Teilnehmer konnten sich Merz’ Zurückhaltung nur so erklären, daß er die CDU-Führung nicht vollends brüskieren wolle – womöglich rechne er sich doch noch politische Chancen aus.

Auch der Auftritt von Angela Merkel löste in diesem Jahr nur den selbstverständlichen Höflichkeitsapplaus aus, machte doch die Kanzlerin deutlich, daß sie keineswegs eine erneute Wende in der Energiefrage vorhabe. Vielleicht war deshalb der Beifall hörbar stärker, als der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt in Merkels Beisein mit der Ludwig-Erhard-Gedenkmünze in Gold ausgezeichnet wurde.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen