© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Lockerungsübungen
Wahre Lebensfreude
Karl Heinzen

In ihrer Festrede zum 20jährigen Bestehen der Deutschen Bundesstiftung Umwelt hat Angela Merkel der Natur die Ehre erwiesen und eingeräumt, daß sie diese als Lehrmeisterin betrachte. Man müsse nämlich, so die Kanzlerin, nur genau hinschauen, wozu „Lebewesen oder Pflanzen“ imstande sind und könne daraus „unendlich viel lernen“.

Ihre Regierungsphilosophie ist damit auf den Punkt gebracht und zugleich legitimiert. Verändern sich die politischen Umweltbedingungen, gilt es darauf mit neuen Überlebensstrategien zu antworten. Was der Kanzlerin oft als gesinnungsloser Opportunismus vorgeworfen wird, entpuppt sich so betrachtet als unsentimentale Entschlossenheit, keine programmatische Mutation zu scheuen, wenn sie einen dem Ziel der Selbstbehauptung näherbringt. Heroische Ignoranz gegenüber nicht beeinflußbaren Veränderungen jedoch wird in der Politik wie in der Natur unerbittlich bestraft.

Auch die blinde Wachstumsorientierung darf allmählich als überholt gelten.

Es spricht manches dafür, daß Merkels Versuch, sich an die Spitze des neuen grünen Aufbruchs der Bundesrepublik zu setzen, zum Scheitern verurteilt ist. Gleichwohl gibt es zu ihm, wie dies bei Strategien der Kanzlerin so oft ist, keine Alternative. Ihr Appell, Offenheit für einen unerläßlichen Einstellungswandel zu zeigen, richtet sich nämlich nicht allein an die eigene Parteiklientel, sondern an die Bevölkerung insgesamt und dürfte von keiner Nachfolgeregierung anders formuliert werden können.

Bislang meinten die Menschen in unserem Land – und dies zu glauben, hat sie die Politik ermuntert –, ihr persönliches Lebensglück aus dem Wohlstand ableiten zu dürfen, der ihnen winkte, so sie nur fleißig arbeiteten. Wollen sie sich nicht selbst zu wachsender Unzufriedenheit verurteilen, werden sie diese materialistische Mentalität ablegen müssen.

Mit dem ökologischen Umbau der Wirtschaft und dem Ende der technologisch-ökonomischen Ausnahmerolle unseres Kontinents in der Welt darf auch die blinde Wachstumsorientierung allmählich als überholt gelten. Die Europäer müssen zwar nicht fürchten, weniger arbeiten zu dürfen. Allerdings wird ihr Lohn nicht mehr nur ein materieller sein. Mögen sie sich auch weniger leisten können, so dürfen sie sich doch glücklich schätzen, daß es gerade ihr Konsumverzicht ist, der die Voraussetzung für ein Mehr an wahrer Lebensqualität schafft.

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