© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Wie die Politik den Bevölkerungsschwund ignoriert
Tagträume
Günter Ederer

Wie wird Deutschland 2050 aussehen? Ein mögliches Szenario: In den neuen Bundesländern verlaufen sich höchstens noch 8 Millionen Einwohner, die meisten davon sind deutscher Abstammung. Schon seit dem Jahre 2020 hat sich das Problem der Arbeitslosigkeit erledigt. Weite Teile des Landes sind in großzügige Naturparks umgewandelt, vor allem in der Uckermark und dem angrenzenden Vorpommern, im Harz und dem Harzvorland, der Altmark, Nordthüringen, Nordhessen, dem Saarland, der Westpfalz und dem sächsischen Erzgebirge. Noch immer besteht das Wohlstandsgefälle zwischen der ehemaligen Bundesrepublik und der Ex-DDR. (...)

Lange haben die Politiker darauf vertraut, daß wenigstens Osteuropäer einwandern würden. Doch dabei haben sie übersehen, daß die Geburtenquoten in Osteu­ropa schon seit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 genauso niedrig oder noch niedriger waren als in Deutschland. Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien leiden an einer stark abnehmenden Bevölkerungszahl und erschreckender Überalterung. Die wenigen Jugendlichen haben in ihrer Heimat alle Chancen, sie müssen nicht mehr auswandern.

Noch schlimmer als in den osteuropäischen EU-Staaten ist die Bevölkerungsentwicklung in der Ukraine und Rußland. Schon seit der Jahrhundertwende nimmt Rußland jährlich um 800.000 Einwohner ab. Die Lebenserwartung der Männer ist so niedrig wie in Schwarzafrika. Das hat in dem Riesenreich zu einer Bevölkerungsverschiebung geführt. Vor allem die Städte und abgelegenen Regionen Sibiriens haben sich erst entleert und danach mit eingewanderten Chinesen und asiatischen Völkern islamischen Glaubens wieder gefüllt. Die Ukraine ist freiwillig wieder in eine bundesstaatliche Zusammenarbeit mit Rußland zurückgekehrt. Die Geburtenquote von nur einem Prozent seit dem Jahr 2000 hat das Land wirtschaftlich in die Knie gezwungen.

In den westdeutschen Ländern leben rund 40 Millionen Menschen. Berlin konnte sich mit drei Millionen Einwohnern einigermaßen halten. In den meisten westdeutschen Großstädten stammt die Mehrheit der Bewohner von Migrationsfamilien ab. Die Zahl der Moscheen hat dort mit der Zahl der Kirchen gleichgezogen. Dabei ist auffällig, daß die Moscheen zum Freitagsgebet voll sind, die Kirchen aber sonntags immer leerer werden – sowohl die evangelischen als auch die katholischen. Das führt zu heftigen Diskussionen, ob der Freitag nicht dem Sonntag gleichgestellt werden müsse.

Deutschland ist 2050 nicht mehr das einwohnerstärkste Land der EU. Das ist keine Horrorvision, sondern Fortschreibung aktueller Politik. Es ist an der Zeit, mit dem Träumen aufzuhören, daß eine offene Einwanderung unser Bevölkerungsproblem löst.

Deutschland ist 2050 längst nicht mehr das einwohnerstärkste Land der EU, bereits 2020 wurde es von Frankreich und Großbritannien überholt. Frankreich hat konstant eine Geburtenquote von rund zwei Prozent und erfreut sich dank seiner attraktiven Küstenregionen immer noch der Einwanderung betuchter Europäer. Auch Großbritannien hat mit 1,8 Prozent eine Geburtenquote, die zumindest einen massiven Bevölkerungsrückgang verhindert. Dazu kommen Einwanderer aus Asien, die sich dank des Commonwealth immer noch die Insel als zweite Heimat vorstellen können.

Das ist keine Horrorvision, das ist alles schon sehr nah an der Realität, weil es nichts anderes ist als die Fortschreibung der aktuell praktizierten Politik. Es ist an der Zeit, mit dem Träumen und der Propaganda aufzuhören, daß eine möglichst offene Einwanderung unser Bevölkerungsproblem löst. Nein, es ist nicht schlimm, wenn es statt 80 Millionen nur noch 60 oder 50 Millionen Deutsche gibt. Schlimm ist, daß von diesen 50 Millionen dann über 40 Prozent über 65 Jahre alt sein werden. Sie können dann nur hoffen, daß die Einwanderer bereit sein werden, für sie aufzukommen und gleichzeitig die von ihnen angehäuften Staatsschulden abzuzahlen. Es ist aber unwahrscheinlich, daß sich so viele Deppen auf der Welt finden, die das machen werden. (...)

2004 zum Beispiel veröffentlichte die OECD eine Untersuchung über die Qualität der Einwanderung in ihre Mitgliedsstaaten. Daraus ging hervor, daß in Kanada 46,1 Prozent der im Ausland geborenen Bevölkerung hoch qualifiziert waren, aber nur 38,8 Prozent der in Kanada Geborenen diesen Standard erfüllten. Das heißt: Kanada profitiert von seinen Neubürgern. Die Vergleichszahlen für Irland: 45,4 Prozent der Einwanderer sind hoch qualifiziert, aber nur 25,5 Prozent der Iren. Australien: 35,7 Prozent zu 26,2 Prozent. Und selbst Schweden zieht noch Intelligenz an: 29,5 Prozent zu 27,3 Prozent.

Für Deutschland ergibt sich ein trostloses Bild: Unsere Einwanderer gehören nur mit 18,9 Prozent zu den Hochqualifizierten gegenüber 25,5 Prozent der in Deutschland Geborenen. Aber 37,4 Prozent der Einwanderer sind gering qualifiziert, im Vergleich zu nur 12,3 Prozent der in Deutschland Geborenen. Wir lassen also weiter eine Zuwanderung Ungebildeter zu, obwohl wir schon für die jetzt hier ansässigen Migranten kein Modell finden können, um sie auf einen mittleren deutschen Bildungsstand zu heben.

Es kommt noch schlimmer: Das Statistische Bundesamt veröffentlicht seit Jahren, daß Jahr für Jahr zirka 150.000 Deutsche auswandern und diese, bis auf wenige Ausnahmen, hoch qualifiziert sind. Auch mehr Bürger der alten EU-Staaten verlassen Deutschland als wieder einwandern. (...) Viele der neuen Einwanderer sind hingegen, wie die Statistiken belegen, unqualifiziert für einen Job in unserer hochentwickelten Wirtschaft.

Alles, was ich hier beschreibe, stammt nicht aus Geheimdossiers. Alle Zahlen sind der Öffentlichkeit und den Politikern zugänglich, wenn sie sie nur zur Kenntnis nehmen würden – und wenn sie das wirklich einmal tun, haben sie gleich Dutzende von Ausflüchten parat, warum das alles doch auch noch anders kommen könnte. Es kommt aber nicht anders. Das sind nur Teilaspekte einer Einwanderungspolitik, die die Bevölkerungsabnahme relativieren, aber keinesfalls die damit verbundenen Probleme lösen. Weil die Nationalsozialisten eine „Bevölkerungspolitik“ betrieben und sie mißbrauchten, wie alles, was sie angefaßt haben, war diese Forschungsdisziplin in Deutschland lange tabu. Suchten die Nazis für das angeblich übervölkerte Deutschland noch „Land für das Volk“, so sehen wir in der Zukunft in der Mitte Europas eher ein „Land ohne Volk“.

Herwig Birg, mittlerweile emeritierter Professor der Universität Bielefeld, hat sich mit bescheidenen Mitteln um die Bevölkerungsforschung in Deutschland verdient gemacht. Die Fraktionen im Deutschen Bundestag haben ihn auch zu internen Sitzungen geladen und sich seine Ergebnisse angehört. Die Wirkung war wie beim Zahnarzt. Die Zahnschmerzen waren heftig, die Betäubungsspritze tat furchtbar weh, danach eine kurze Behandlung, und dann war alles wieder gut. Die furchtbar schmerzhafte Spritze, die Professor Birg verpaßt, lautet: Um das Durchschnittsalter der deutschen Bevölkerung im heute bestehenden Gleichgewicht zu halten, brauchen wir bis zum Jahr 2050 188 Millionen Einwanderer.

Das wären 3,5 Millionen Neubürger pro Jahr. Das tut weh! Vor allem den Multikultis. 188 Millionen Einwanderer. Dabei ist das auch wieder ganz logisch, wenn nur darüber nachgedacht würde. Aber die politisch Korrekten bestimmen die Diskussion und bieten mit der Einwanderungslüge eine simple Lösung an. Die mathematische Realität aber besagt: Einwanderer sind zum überwiegenden Teil über 20 Jahre alt. Es fehlen die den Altersdurchschnitt senkenden Altersstufen von 1 bis 20.

Während Europa unter rapiden Verlusten leidet, wächst die muslimische Bevölkerung an der Südküste des Mittelmeeres in 50 Jahren um 200 Millionen Menschen. Da entsteht ein natürlicher Druck. Die Menschen kommen über das Meer geschwappt.

Wenn die Einwanderer in Rente gehen, erhöhen sie überproportional schnell den Prozentsatz der älteren Mitbürger. Und das bedeutet: Wir brauchen noch mehr jüngere Einwanderer, um den Durchschnitt wiederherzustellen. Und das geht dann wie ein Schneeballsystem weiter, bis wir auf die 188 Millionen kommen.

Aber selbst wenn wir bereit wären, die Erhöhung des Durchschnittsalters in Kauf zu nehmen, und nur für eine stabile Bevölkerungszahl sorgen wollten, dann müßte auch die Zahl der Zuwanderung von Jahr zu Jahr steigen. 2040 zum Beispiel müßten es dann schon 750.000 neue Mitbewohner pro Jahr sein. Die Brutalität der Birgschen Zahlen hat aber bisher noch nicht den geringsten Einfluß auf die verträumte politische Führungsschicht. Der Doyen der europäischen Bevölkerungsforscher, Professor Jean-Claude Chesnais aus Paris, zeigte mir eine ganz einfache Lösung: Ihr Deutsche dürft nur Babys einwandern lassen. Das Problem: Diese einfache Lösung gibt es nicht.

Und da sind wir wieder bei den Zahlen von Professor Birg. Die Weltbank hat noch eine andere Rechnung aufgemacht. Sie hat den Bevölkerungsrückgang von ganz Europa addiert und kam als Ausgleich für die fehlenden Geburten auf 705 Millionen notwendige Einwanderer. Das wäre wohl das Ende des Europas, wie wir es kennen und erleben durften. Die Sonnenseite Europas sind die Küsten des Mittelmeers. „Das Land, in dem die Zitronen blühen.“

Millionen zieht es jährlich an die Strände von Portugal bis Griechenland. Die Sehnsucht nach Sonne, Wärme, Wein und „dolce far niente“ hat ganz Europa ergriffen und verwandelt. Aber die Küsten des Mittelmeers sind auch die offenen Flanken des christlichen Abendlands, so wie wir es aus der Geschichte kennen. Die nördliche Ostküste des Mittelmeers gehört zur Türkei, und wohin die gehört, weiß noch nicht einmal die Türkei selbst. Die Südküste jedoch, von Syrien bis Marokko, gehört Arabern muslimischen Glaubens.

Und während Europa unter rapidem Bevölkerungsverlust leidet, nehmen diese Staaten in den nächsten 50 Jahren um 200 Millionen Menschen zu. Da entsteht ein natürlicher Druck. Es ist wie auf einer schiefen Bahn, die mit Seifenlauge eingeschmiert ist. Die Menschen kommen einfach über das Meer angeschwappt. Und mit ihnen weitere Millionen, die aus den noch ärmeren, noch schneller wachsenden Staaten Schwarzafrikas irgendeine Chance auf diesem Globus suchen. (...)

Östlich und südlich der Türkei liegt die wahrscheinlich zur Zeit lebensfeindlichste Zone der Welt: Sie beginnt mit Palästina, geht über den Irak, Iran, Afghanistan bis nach Pakistan und reicht auch in den Kaukasus und bis nach Mittelasien. Alles Staaten mit extremen Bedrohungen und Verletzungen der Menschenrechte. Alles Staaten mit meist muslimischer Bevölkerung und alles Staaten, bei denen mindestens auf die Hälfte der Einwohner das Asylrecht greift oder die Vertreibung als Kriegsflüchtling droht. Sie alle drängen nach Europa, landen halb tot in Griechenland, Italien oder Spanien. Heute sind es Tausende, morgen vielleicht Millionen. Und wir alle, damit meine ich auch die anderen europäischen Staaten, taumeln hin und her gerissen zwischen der Versuchung, humanitäre Hilfe zu leisten, und der Angst vor einer Masseneinwanderung einer uns fremden Kultur.

 

Günter Ederer, Jahrgang 1941, Journalist, war ZDF-Korrespondent in Tokio und produzierte über 40 Jahre Filme für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der Autor mehrerer Sachbücher schreibt seit 2009 regelmäßig in der Fuldaer Zeitung.

Günter Ederer: Träum weiter, Deutschland. Politisch korrekt gegen die Wand, Eichborn, Frankfurt am Main 2011. Das Buch rechnet ab mit den Tagträumen der politischen Klasse. Ein Auszug wird hier mit Genehmigung des Autors abgedruckt.

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