© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

„Wenn Frankreich leidet, dann ist es Gott, der leidet“
Eine Neuübersetzung eines propagandistischen Traktates des Schriftstellers Léon Bloy über den Deutsch-Französischen Krieg
Karlheinz Weissmann

Léon Bloy hat in Deutschland nur eine kleine Lesergemeinde gewinnen können. Ernst Jünger und Carl Schmitt haben ihn geschätzt, und dafür spielten sicher seine Exzentrik, der Mangel an Popularität eine Rolle. In Frankreich gilt Bloy, wenn nicht als Klassiker, dann doch als Autor von Rang. Der Grund für den fehlenden Erfolg in Deutschland sind nicht nur bestimmte stilistische Eigenarten, sondern auch Merkwürdigkeiten in Bloys Weltanschauung. Der spät zum Katholizismus Heimgekehrte entwickelte eine sehr individuelle Glaubensauffassung, die er mit einem mystischen Nationalismus und Philosemitismus verknüpfte. Bloy war in vielem ein Reaktionär, hielt aber Distanz zur republikanischen wie zur royalistischen Rechten des 19. Jahrhunderts und führte eine Literaten-existenz am Rande des Elends, aber in stolzer Isolation.

Wenn der Verlag Matthes & Seitz, der sich schon früher um das Werk Bloys verdient gemacht hat, jetzt dessen zuerst 1893 erschienenes Buch „Blutschweiß“ in deutscher Übersetzung auf den Markt bringt, dann kaum wegen des erwarteten Verkaufserfolgs. Dagegen spricht auch das Thema, eine Sammlung von kürzeren, teilweise anekdotischen Texten, in denen Bloy Ereignisse während des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 schildert. In seinem Nachwort hat der Übersetzer Alexander Pschera die biographischen Hintergründe erhellt: Bloys Eintritt in ein Freikorps, die Mobiles de Dordogne, und seine Teilnahme an den Rückzugskämpfen der Loire-Armee.

In manchem erinnern die Schilderungen in „Blutschweiß“ an Goyas Bilderzyklus Desastres de la Guerra – die „Schrecken des Krieges“, die er nach der Besetzung Spaniens durch napoleonische Truppen angefertigt hatte, aber trotz der Drastik, der ganz unromantischen Darstellung monströser Wirklichkeit im einen wie im anderen Fall, gibt es eine gravierende Differenz. Denn während Goya sich um Gerechtigkeit bemühte und die Untaten beider Seiten darstellte, liegt das Gewicht bei Bloy eindeutig auf dem Bizarren der Ereignisse und auf dem, was er als Terror der deutschen, vor allem der preußischen Truppen darstellt, die entweder als seelenlose Mordmaschine oder als entfesselte Soldateska erscheinen, tötend, folternd, vergewaltigend, raubend. Die geschilderten Greuel haben dabei oft einen so absurden Charakter, daß man sie nur als Ergebnis von Propaganda oder bewußter Täuschung betrachten kann.

Es sei damit nicht bestritten, daß Bloy einige – auch in der deutschen Übersetzung – sehr eindrucksvolle Stücke gelingen. So die Schilderung der Feldmesse vor Freischärlern, jungen Adligen aus der immer noch königstreuen Vendée, die damit beginnt, daß dem Geistlichen durch einen Kanonenschuß der Kopf abgerissen wird, woraufhin man einen Priester aus dem nächstgelegenen Dorf herbeiholt, der den Gottesdienst beendet, während der Feind herangekommen ist und über die Frommen herfällt, die ungerüstet, aber in dem Bewußtsein sterben, das Wichtige dem weniger Wichtigen vorgezogen zu haben.

Zuletzt bleibt aber das Urteil, daß „Blutschweiß“ heute weniger eine literarische als eine sozialpsychologische oder ideologiegeschichtliche Würdigung verdient. Das gilt schon für den Titel und das Vorwort Bloys, in dem es wörtlich heißt: „Wenn Frankreich glücklich ist, ist der Rest der Welt ausreichend glücklich, selbst wenn er dieses Glück mit Knechtschaft oder Auslöschung erkaufen muß.“ Und: „Aber wenn Frankreich leidet, dann ist es Gott, der leidet, dann ist es der schreckliche Gott, der für die ganze Welt agonisiert, in dem er Blut schwitzt.“

Studie über Deutschenhaß in Frankreich nach 1871

Das Frankreich der Zeit nach 1871 ähnelte in vielem dem Deutschland der Zeit nach 1918. Hier wie dort ein geschlagenes Land, um Gebiete gebracht, die als integraler Bestand angesehen wurden, teilweise besetzt, zu Kontributionen gezwungen und gedemütigt, vor allem aber – schon wegen der verbliebenen Stärke – zur Rache entschlossen. Hier wie dort waren es die alten, ganz oder teilweise entmachteten Führungsschichten, die sich weiter dem Vaterland verpflichtet sahen und noch in auswegloser Situation bereit waren, zu den Waffen zu greifen. Hier wie dort entstanden radikale nationale Strömungen und gleichzeitig eine quasi-religiöse Vorstellung vom Sinn der Niederlage als eines Golgatha, dem die Auferstehung folgen werde.

Aber: Bloys Identifizierung von Frankreich mit Christus geht deutlich weiter als alles, was noch völkische Exzentriker der Weimarer Republik hervorgebracht haben. Vor allem aber muß man Bloy auch in der Hinsicht ernst und das heißt beim Wort nehmen, wenn es um seinen Deutschenhaß geht. Dessen literarische Einkleidung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß er von vielen Franzosen – auch und gerade von vielen seiner intellektuellen Zeitgenossen – geteilt wurde und langfristig fatale, bis in die Gegenwart nachwirkende Folgen haben sollte. Die strukturelle Ähnlichkeit mit dem Judenhaß, den Bloy gerade nicht teilte, ist offenkundig.

Léon Bloy: Blutschweiß. Verlag Matthes & Seitz , Berlin 2011, gebunden, 294 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

Claude Monet, Rue Saint-Denis am Nationalfeiertag, Öl auf Leinwand 1878: Frankreich ähnelte vielfach dem Deutschland nach 1918

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