© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/11 03. Juni 2011

Der Flaneur
Stilles Gedenken
Felix Springer

Der abendliche Heimweg zu Fuß führt mich über den Fluß, der die Stadt teilt. Die steinerne Brücke darf aufgrund ihrer Lage und Beschaffenheit von Fahrzeugen nicht befahren werden. Für den aufmerksamen Beobachter hat daher jeder, der hier die Seite wechselt, ein Gesicht. Am steinigen Südufer sitzen die Schatten einiger junger Leute still um ein Feuer.

Beim Einbiegen in meine Nebenstraße passiere ich eine weiße Kirche, deren Architektur mir noch nie zugesagt hat. Der zeitgemäße Bau hat überhaupt keine sakrale Strahlkraft, er wirkt steril, fassadenhaft und unbedeutend. Der angegliederte Kindergarten der Gemeinde ist in dieser Abendstunde leer und leise, jemand müßte auch mal wieder die Hecken gießen.

„Neben dem Granit blühen Rosen, jemand aus der Nachbarschaft pflegt das Denkmal.“

Wenige Meter weiter ist unter einer Weide ein Granitblock fest in der Erde verankert. Auf ihm ist ein Eisernes Kreuz und die Inschrift „Ihrer Helden zu gedenken ist der Heimat Pflicht“ eingeschlagen. Ich bleibe stehen und denke an den deutschen Offizier, der heute gefallen ist. Neben dem Granit blühen tatsächlich noch Rosen, es muß in der Nachbarschaft jemand wohnen, der die Pflege des Denkmals übernimmt.

Mit beschleunigtem Schritt setze ich meinen Weg fort, vorbei an den Reihenhäusern mit den strengen Vorgärten, vorbei an Doppelgaragen und bewuchsbefreiten Auffahrten und vorbei an der gemütlichen Wirtschaft mit gutbürgerlicher Küche. Zwei tüchtig ernährte Männer in Hemden treten dort lachend aus der Tür und folgen der Hauptstraße in westlicher Richtung bis zum Parkplatz. Ich will ihnen nachsehen, aber die rotblendende Abendsonne zwingt mich, meinen Blick abzuwenden.

Ein wenig gerate ich ins Schwitzen, denn es ist trotz des ausgehenden Tages immer noch drückend warm. Für morgen abend sind schon Hitzegewitter angesagt.

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