© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/11 10. Juni 2011
Wider die Verzweckung Zwei Themen des Lebensschutzes prägten den 114. Deutschen Ärztetag in Kiel: die Frage der Zulässigkeit ärztlicher Suizidbeihilfe und die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID). Während sich die Mehrheit der Ärztevertreter erwartungsgemäß für eine beschränkte Zulassung der PID aussprach, mußten die Befürworter der Suizidbeteiligung von Ärzten einen Rückschlag hinnehmen. In bislang nicht dagewesener Klarheit hat der Ärztetag ein Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe beschlossen. In den letzten Monaten hatte es gerade bei diesem Thema eher nach einer „Liberalisierung“ ausgesehen. Äußerungen des bisherigen Ärztekammerpräsidenten Jörg-Dietrich Hoppe hatten befürchten lassen, daß die Suizidbeteiligung künftig in das individuelle Ermessen des einzelnen Arztes gestellt werde. Auch war zunächst aus den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung die Aussage gestrichen worden, Hilfe zum Suizid widerspreche dem ärztlichen Ethos. Statt dessen war formuliert worden, sie sei „keine ärztliche Aufgabe“. Die nun beschlossene Änderung der Berufsordnung bezieht dagegen eindeutig Position: Ärzte „dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“. Diese Klarstellung ist uneingeschränkt zu begrüßen. Gerade Ärzten muß bewußt sein, daß der Selbsttötungswunsch keineswegs als Akt freiwilliger Selbstbestimmung anzusehen ist. Ursachen und Umstände von Selbsttötungsdelikten legen es vielmehr nahe, sie als Ausdruck individueller oder sozialer Abhängigkeit und Unfreiheit zu bewerten. Gerade bei alten und kranken Menschen läßt die Lebenssituation einen wirklich freien Entschluß zur Selbsttötung gar nicht zu. Wenn ein Patient seinem „Leiden“ ein Ende setzen will, ist dieser Sterbewunsch schon deswegen nicht mehr als „freiwillig“ zu bezeichnen. „Leid“ ist in aller Regel durch unzureichende Schmerztherapie, mangelhafte Pflege und soziale Isolierung verursacht. Diese Umstände sind beeinflußbar. Hier ist es Aufgabe des Arztes, aber auch des sozialen Umfeldes, Lebenshilfe statt Suizidbeihilfe zu leisten. Ein durch Leiden(-lassen) erzwungenes Todesbegehren ist nicht als „autonomer Patientenwille“ zu achten und sollte daher von Ärzten auch nicht akzeptiert und schon gar nicht unterstützt werden. Die Aufgabe des Arztes ist und bleibt die Linderung von Leiden, nicht die Mitwirkung an der Beseitigung des Leidenden.So erfreulich die Ablehnung der ärztlichen Suizidhilfe auch ist – der Ärztetag hat dem Lebensschutz gleichzeitig auch einen Bärendienst erwiesen. Im Bereich der Präimplantationsdiagnostik heißt das Votum: „eingeschränkte Zulassung“. Offenbar hat bei dieser Entscheidung die Annahme eine Rolle gespielt, daß diese Technik keine große gesellschaftliche Relevanz habe und sich auf vergleichsweise wenige Einzelfälle beschränken lasse. Die Erfahrungen im Ausland sprechen dagegen. Am Ende wird eine Vielzahl von gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Begründung für die Vernichtung „belasteter“ Embryonen akzeptiert werden. Vor allem aber wird durch eine PID-Zulassung das Prinzip des Lebensschutzes allgemein beschädigt. Die Auswahl von Embryonen nach ihrem Gesundheitszustand oder ihrer genetischen Ausstattung ist mit dem Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) unvereinbar: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Jede Form der Abwertung und Selektion menschlichen Lebens trägt dazu bei, letztlich die Akzeptanz von Menschen mit Behinderung generell zu beeinträchtigen. In einer Zulassung der Präimplantationsselektion ist daher die Ausdehnung auf die Postnatalselektion mit angelegt. Praktische Auswirkungen mögen insoweit noch längere Zeit auf sich warten lassen. Eine zwingende logische Grenze gibt es aber nicht. Die schiefe Ebene, auf der sich die Befürworter der PID befinden, zeigt sich schon darin, daß der Beschluß zur Zulassung der PID auch die Forderung enthält, das Embryonenschutzgesetz in einer Weise abzuändern, die zu einer vermehrten Entstehung „überzähliger“ Embryonen führen wird. Damit wäre der Grundstein dafür gelegt, die dann zahlreich zur Verfügung stehenden Embryonen generell als „Material“ zu verstehen, das für alle möglichen „guten Zwecke“ verwendet werden darf – vor allem zu Forschungszwecken. Wenn nicht das individuelle Recht auf Achtung des Lebens und der Menschenwürde des Embryos der entscheidende Maßstab gesetzlicher Regelungen ist, dann gibt es im Hinblick auf die Verzweckung des Menschen als „Biomasse“ prinzipiell kein Halten mehr. Die von den Ärzten geforderte Zulassung der PID betrifft letztlich nicht nur den Kreis derjenigen, die ein vermeintliches „Recht auf ein gesundes Kind“ durchsetzen wollen, sondern wird Auswirkungen auf die Einstellung der gesamten Gesellschaft nach sich ziehen. Sie ist ein weiterer Schritt auf dem Weg in eine „schöne neue Welt“, in der Selektion erwünscht ist und erbkrankes bzw. „nicht zumutbares“ menschliches Leben beseitigt werden darf und der menschliche Embryo zum Forschungsobjekt degradiert wird. Dieser Entwicklung sollten gerade Ärzte keinen Vorschub leisten.
Rainer Beckmann ist stellvertretender Vorsitzender der Juristen-Vereinigung Lebensrecht und Lehrbeauftragter für Medizinrecht an der Medizinischen Fakultät Mannheim. Er war Mitglied der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Bundestages. |