© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Vural Savas. Der Vorkämpfer gegen die islamistische AKP erklärt den Krieg für verloren
„Es ist zu spät!“
Günther Deschner

Die Türkei wird zu einem Staat, der von einem religiösen und faschistischen Orden regiert wird“, warnt kein Geringerer als der ehemalige oberste Ankläger der Republik, der vormalige türkische Generalstaatsanwalt Vural Savas. Zweimal hat er die Vorgängerparteien der heute regierenden AKP verboten, deren Islamisierungskurs bei den am Sonntag anstehenden Wahlen am Bosporus vermutlich mit nicht unerheblichen Pro-zentzuwächsen belohnt werden wird. „Die Türkei ist heute nur noch formal ein demokratisches Land“, schreibt Savas und die AKP „keine demokratische, sondern eine islamistische Partei, die das Land wie in einem Einparteienstaat regiert“. Längst schon, so wirbt er in Meinungsbeiträgen für Zeitungen und Bücher, hätte „die AKP verboten werden müssen“, nun aber, gibt er sich resigniert, „ist es zu spät!“

Dabei hat der heute 72jährige Jurist als Chefankläger mehr als einmal Durchsetzungswillen, rücksichtslose Härte und eisernes Festhalten an seinen kemalistischen Überzeugungen bewiesen. Geboren 1938 in Antalya, wurde er 1987 in den Obersten Gerichtshof gewählt und war von 1997 bis zu seiner Pensionierung 2001 Generalstaatsanwalt.

Seinen Auftrag sah er stets in der Sicherung des Vermächtnisses von Kemal Atatürk mit juristischen Mitteln. Der Republikgründer hatte die Trennung von Staat und Religion durchgesetzt und dem Land eine republikanische Verfassung gegeben, die – so verstand es Vural – auf drei Pfeilern ruhte: dem Staatspräsidenten, dem Verfassungsgericht und dem Militär. Diese Grundlagen sieht Savas längst bedroht – durch Islamisten und die kurdische Minderheit. Als türkischer „Richter Gnadenlos“ hat er das Verbot einer Regierungspartei und zweier Nachfolgegruppierungen durchgesetzt, zahlreiche Politiker ins Abseits geschickt und den Kopf des Kurdenführers Abdullah Öcalan gefordert. Proteste aus Europa und von Menschenrechtsorganisationen, die eine faire Prozeßführung forderten, ließen ihn kalt. Verdächtigen würden ohnehin viel zu viele Rechte eingeräumt, erklärte er.

Ist es verwunderlich, daß der langjährige Türkei-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Wolfgang Koydl, der das Wirken des Ex-Generalstaatsanwalts aus der Nähe beobachten konnte, Savas in einem beklemmenden Porträt einen „türkischen Robespierre“ nennt, den „überzeugten Vertreter einer kalten, unantastbaren Macht, geschützt von einer autoritären Verfassung, verteidigt von versteinerten Bürokraten“? Savas Haltung mag aus westlicher Sicht fragwürdig, seine Thesen zugespitzt sein, immerhin aber weiß der Mann, wovon er spricht. Angesichts des fortgesetzten Siegeszugs der AKP werden heute viele in der Türkei die Worte von Vural Savas ernst nehmen – und sich die Frage stellen, ob er mit seiner Einschätzung Ministerpräsident Erdoğans und dessen Politik einer schleichenden Islamisierung nicht doch auch recht haben könnte.

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