© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Seehofer verblüfft Freund und Feind
Ausstieg aus der Kernenergie: Die abrupte Kehrtwende des CSU-Vorsitzenden in der Atompolitik sorgt innerhalb der Partei für Verunsicherung
Paul Rosen

In Berliner Unionskreisen kursiert ein Witz: Was haben Baden-Württemberg und Bayern nach der Landtagswahl im März gemeinsam? Antwort: Beide werden von einem „grünen“ Ministerpräsidenten regiert. In der Tat: Wie schnell sich der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer nach dem Atomreaktorunglück in Japan drehte und auf einen strikten Anti-Atomkurs mit Sofortabschaltungen der ältesten deutschen Meiler ging, erstaunte selbst langjährige Beobachter der Pirouetten des Ingolstädter CSU-Politikers.

Treffend charakterisierte die Süddeutsche Zeitung: „Seehofer ist politisch so verläßlich wie das Wetter im April. Wie kein anderer deutscher Politiker schafft er es, an einem Tag das Gegenteil von dem zu vertreten, was er am Vortag behauptete.“ Es klinge dann so, so die Zeitung, „als hätte er diesen Standpunkt schon immer gehabt“. Übertroffen wird Seehofer von Umweltminister Markus Söder, der solche Wenden auch in weniger als 24 Stunden schaffen kann. Söder, der vor Fukushima der vitalste Kämpfer für längere Laufzeiten der so sicheren Atommeiler war, wollte nach dem Erdbeben und dem Tsunami auf der anderen Seite des Erdballs hierzulande sofort die ersten Meiler abschalten.

Das Verhalten beider Politiker zeigt die schwere Lage der CSU. Jahrzehntelang in Bayern mit absoluten Mehrheiten ausgestattet und von Edmund Stoiber mit einer Zweidrittelmehrheit der Landtagssitze verwöhnt, war die CSU als Partei, die Tradition und Moderne verband („Laptop und Lederhose“), schon ein „Mythos“. Die Probleme der anderen Parteien wie sinkende Mitgliederzahlen und Stimmenanteile schienen an dem wie eine Festungsmauer wirkenden „Weißwurst-Äquator“ südlich von Frankfurt am Main abzuprallen. Aber „nur“ noch 43,4 Prozent bei der Landtagswahl 2008 versetzten die CSU in einen Schockzustand, der – so glaubte jedenfalls eine Mehrheit der Parteitagsdelegierten – durch Seehofer beendet werden könne.

Seitdem er das Stoiber nachfolgende Katastrophentandem Erwin Huber und Günther Beckstein beerbte, drehte und wendete Seehofer seine Partei ständig. Er verteidigte mannhaft die Wehrpflicht, um dann diese Position lautlos zu räumen. Im Falle von Griechenland- und Euro-Rettung stimmte Seehofer bisher stets zu, um jetzt plötzlich „skeptisch“ aufzutreten. Nachdem seine Vorgänger jahrelang froh waren, den Freistaat mit der Debatte um den Standort eines atomaren Endlagers verschonen zu können, wurde sie von Seehofer jetzt eröffnet: „Wir müssen erst mal Deutschland ausleuchten“, empfahl er und rückte damit vom favorisierten Standort im niedersächsischen Gorleben ab. Irritiert äußerte sich der stellvertretende Vorsitzende der Berliner CSU-Landesgruppe, Max Straubinger: „Ich kann nicht verstehen, warum wir jetzt wieder die Debatte um den Standort für ein Endlager eröffnen.“ Diese Debatte sei „überflüssig wie ein Kropf“. Wahrscheinlich weiß Seehofer oft selbst nicht, warum er rebelliert – mit Vorliebe gegen sich selbst.

Die Gründe, warum sich die CSU treiben läßt oder vom vermeintlichen Zeitgeist durch die Gegend getrieben wird, liegen an mangelnder Disziplin und Verankerung. Zunächst: Konkurrenz belebt das Geschäft, auch das innerparteiliche. Mit dem Sturz des Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg verschwand ausgerechnet der Politiker, den Seehofer als Konkurrenten empfand und der ihn auf eine wenigstens halbwegs berechenbare Linie zu zwingen versuchte. Bei Söder war es genauso. Er konnte sicher sein, von Guttenberg überholt zu werden. Und Söder will, was man auch Guttenberg zutraute: Nachfolger von Seehofer werden, wenn der sich aus Altersgründen zurückzieht. Falls das nicht rechtzeitig geschieht, wäre Söder aber gerne bereit, etwas nachzuhelfen.

Für Verankerung in Berlin sorgte stets die Landesgruppe der bayerischen Bundestagsabgeordneten. Ein Stoiber kam an ihrem ehemaligen Vorsitzenden Michael Glos nicht vorbei, Angela Merkel übrigens auch nicht. Mächtig war das Wort des Franken, der Garant für Seriosität war. Heute ist die frühere Bundestagsvizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Vorsitzende der Landesgruppe. Hasselfeldt ist eine integre Politikerin und loyal gegenüber München. Das führt dazu, daß die Landesgruppe Seehofer nicht stabilisieren kann, sondern seine Pirouetten nachdreht.

In der Atompolitik beruft sich die CSU auf ein Vorbild: Von einem Tag auf den nächsten war Franz Josef Strauß seinerzeit aus der Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf ausgestiegen. Das Wendemanöver gelang, die Wähler akzeptierten die Drehung. Die heute um ein Vielfaches erhöhte Drehgeschwindigkeit fördert die Gaudi des Publikums. Mit dem einstigen „Mythos CSU“ hat sie nichts mehr zu tun.

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