© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/11 10. Juni 2011
Auch ohne Stechschritt glücklich Kompanie, fertigmachen zum Raustreten!“ Spätestens mit diesem durch das gesamte Gebäude hallenden Kommando wußte auch der letzte von uns, daß das Wochenende nun vorbei war. Schnell noch die Zigarette aufgeraucht und den Schuhputz kontrolliert, dann hieß es auch schon: „Kompanie, vor dem Gebäude antreten!“ Wie jeden Montag begann auch diese Woche mit einem Appell vor unserem Block. Zugweise, in drei Reihen, warteten wir darauf, zu erfahren, welche Höhepunkte die kommenden fünf Tage für uns bereithalten sollten. Rotland besiegen? Amila-Marsch? Kompanieschießen? Oder doch wieder mal technischer Dienst und politische Bildung („Die Demokratie ist eine feine Sache, Männer. Aber in meinem Zug gilt, was ich sage!“). Ich war bereits in meinem achten Dienstmonat und hatte gerade beschlossen, meinen Wehrdienst um drei Monate zu verlängern und so die Zeit bis zum Studium zu überbrücken. Mir gefiel es bei der Armee. Nach der schier nicht enden wollenden Schulzeit endlich etwas anderes. Ich war froh, nicht auf meinen sozialdemokratischen Gemeinschaftskundelehrer gehört zu haben, der uns davon abgeraten hatte, zu dieser „Mördertruppe“ zu gehen. Das Modell des „Staatsbürgers in Uniform“ sei alles nur Tarnung, in Wirklichkeit würde auch heute noch in jeder Kaserne der unsägliche Geist des deutschen Militarismus wehen. Dem war zwar leider nicht so, doch auch ohne Stechschritt war ich gerne Soldat, vor allem wenn es raus ins Gelände ging, und Kameradschaft war für uns nicht nur eine leere Worthülse. An diesem Morgen aber schien der Spieß schlecht gelaunt. „Die WCs und die Duschräume im unteren Stock des Kompaniegebäudes sind ab sofort für alle männlichen Soldaten gesperrt. Bedankt euch dafür beim Europäischen Gerichtshof“, schnauzte er. Unsere Kompanie hatte das zweifelhafte Glück, als erste des gesamten Bataillons eine Frau zugeteilt zu bekommen. Bislang kannte ich weibliche Soldaten nur von meiner Eingangsuntersuchung bei den Sanitätern und aus Filmen. Da meine Stube beim morgend- und abendlichen „Revierreinigen“ für die Toiletten im zweiten Stock verantwortlich war, hielt sich unsere Begeisterung für „die Neue“ stark in Grenzen, denn von nun an nutzten auch die Kameraden vom unteren Flur unsere heiligen Schüsseln. Das irre daran war, daß die Gefreite UA gar nicht in unserem Kompaniegebäude untergebracht wurde, sondern eine Stube im Sanbereich erhielt. Für den Fall der Fälle mußte ihr aber während des Dienstes eine Damentoilette zur Verfügung gestellt werden. Und da man bei der Bundeswehr immer auf Nummer Sicher geht, behielt sie den Schlüssel für diese auch über Nacht. Auch sonst gestaltete sich die Eingliederung der neuen Kameradin schwierig. Irgendwie schien sie den Drang zu haben, uns zu beweisen, daß sie der beste Soldat von uns allen war. Im Zivilleben gelernte Gabelstaplerfahrerin, hatte sie sich eine Drei-Milimeter-Frisur zugelegt. Doch auch das half nicht viel: Den ersten 20-Kilometer-Marsch gerade noch so geschafft, wurde ihr spätestens beim Gang über die Hindernisbahn klar, daß es sich bei dem Hollywood-Streifen „Die Akte Jane“ doch nur um eine fiktive Geschichte handelt. Das hinderte sie allerdings nicht daran, kurz darauf beim Gang zur Kantine einen Funker als „Made“ einzunorden, weil dieser ihren Gruß nicht erwidert hatte. Von meinem letzten Dienstmonat ist mir vor allem ein Tag in Erinnerung: Wir waren draußen auf dem Standort-übungsplatz und hatten gerade unsere Antennenmasten aufgebaut, als ein „Wolf“ angebraust kam. „Sofort einstellen und nach drinnen verlegen“, rief der Spieß aus dem Fenster und fuhr ohne weitere Erklärung zum benachbarten Zug. Wieder in der Kaserne teilte uns unser Kompaniechef mit, daß Terroristen Amerika angegriffen hätten. Flugzeuge seien in das World Trade Center geflogen. Da man nicht wisse, was noch komme und ob auch amerikanische Einrichtungen in Deutschland ins Visier geraten könnten, müßte jede Kompanie eine Wachreserve stellen. Deswegen gebe es vorerst keinen Dienstschluß und wir dürften die Kaserne nicht verlassen. Kurze Zeit später saßen wir alle im Fernsehraum und starrten ungläubig auf die Bilder der einstürzenden Twin-Towers. Ein Feldwebel stupste mich an und meinte nachdenklich: „Mann, Krautkrämer, wenn wir in die Scheiße nur mal nicht mit reingezogen werden!“ Foto: Felix Krautkrämer entsteigt einem Tunnel der „Kämpferbahn“ in Stetten: Alarm am 11. September 2001 Name: Felix Krautkrämer Dienstzeit: 09/2000 – 09/2001 Dienstgrad: Leutnant d. R. Einheit: Fernmeldetruppe Garnison: Sigmaringen |