© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/11 10. Juni 2011

Neues Selbstbewußtsein in Astana
Kasachstan: Die zentralasiatische Vormacht und Deutschlands strategische Interessen / Rohstoffe im Fokus
Michael Paulwitz

Rohstoffe sind Macht. Geschickter als Nachbar Rußland versteht sich Kasachstan darauf, seinen Rohstoffreichtum in internationales Gewicht umzumünzen. Ende Mai unterzeichneten Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler und der kasachische Vizepremier und Industrieminister Aset Issekeschew in Berlin eine Absichtserklärung über eine deutsch-kasachische „Rohstoffpartnerschaft“.

Noch im ersten Halbjahr 2011 soll ein völkerrechtlicher Vertrag abgeschlossen werden, der deutschen Unternehmen „diskriminierungsfreien Zugang“ zu kasaschischen Rohstoffen eröffnen soll. Umgekehrt ist Deutschland für Kasachstan ein technologischer und politischer Wunschpartner, um den Einfluß des übermächtigen Nachbarn China zurückzudrängen. Beim Ausnützen dieser strategisch günstigen Lage bleibt die deutsche Wirtschaft hinter den Möglichkeiten zurück.

Die „Rohstoffpartnerschaft“ ist Chefsache: Zweimal traf Bundeskanzlerin Merkel im Juli und Dezember 2010 mit dem kasachischen Staatspräsidenten Nursultan Nasarbajew zusammen, um das Vorhaben voranzubringen. Dabei steht nach Auskunft der Bundesregierung die „Erschließung, Gewinnung und Nutzung nichtenergetischer mineralischer Rohstoffe“ im Vordergrund. Gemeint ist in erster Linie der Nachschub an „Seltenen Erden“ – metallischen Grundstoffen, die als Bestandteil von Legierungen oder Spezialgläsern für eine Vielzahl von Hochtechnologieerzeugnissen unentbehrlich sind und deren Export vom aufsteigenden China, das über die weltweit größten Vorkommen verfügt, zunehmend restriktiv gehandhabt wird.

Die Wirtschaft Kasachstans, das bei 16 Millionen Einwohnern achtmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, hat die Einbrüche der Weltfinanzkrise überstanden und prosperiert mit einem jährlichen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes um sieben Prozent. Hohe Zuwächse verzeichnete nicht nur die Rohstofförderung des an Erzen, Uran, fossilen Brennstoffen und allen relevanten Industriemetallen reichen Landes; das verarbeitende Gewerbe legte im letzten Jahr zweistellig zu, der Maschinenbau nach Angaben der Ministerin für Wirtschaftsentwicklung und Handel sogar um 60 Prozent.

Um die überproportionale Abhängigkeit der kasachischen Wirtschaft vom Rohstoffexport aufzubrechen, soll nach den Vorstellungen des Präsidenten die verarbeitende Industrie innerhalb des nächsten Jahrzehnts das Volumen des Rohstoffsektors erreichen oder gar übertreffen. Der Anteil kleiner und mittelständischer Unternehmen soll auf 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und die in- und ausländischen Investitionen im produzierenden Gewerbe um ein Drittel steigen. Für diese ehrgeizigen Ziele ist die deutsche Wirtschaft ein gefragter Partner.

Dafür wünschen sich deutsche Investoren vor allem die großzügigere Vergabe von Hermes-Kreditbürgschaften und die Beseitigung rechtlicher Unsicherheiten und bürokratischer Hürden. Allerdings schneidet Kasachstan schon jetzt im Stabilitätsindex des Economist und im Korruptionsindex von „Transparency International“ deutlich besser ab als Rußland und ist auch deshalb eine interessante Investitionsalternative zu Putins Riesenreich. Die Zurückhaltung der deutschen Industrie bei direkten Investitionen in die Erschließung und Förderung von Rohstoffen hat dagegen auch mit verlorengegangener Erfahrung zu tun: Nach dem Ende der Förderung der deutschen Rohstoffindustrie 1990, moniert der „Ostausschuß“ des Bundesverbandes Deutscher Industrie, gebe es kaum noch Unternehmen, die mit adäquaten Technologien in Kasachstan Rohstoffe fördern könnten. Weil Deutschland eine nationale Mineralölgesellschaft fehlt, ist es anders als die staatlichen Energie- und Erdölkonzerne  Italiens (ENI) und Österreichs (OMV) auf kasachischen Öl- und Gasfeldern kaum präsent.

Das wirtschaftsstrategische Interesse Deutschlands an intensiven Beziehungen zu der zentralasiatischen Republik erklärt, warum Berlin ein starker Fürsprecher der kasachischen OSZE-Präsidentschaft war. In diesem Jahr übernahm Kasachstan den Vorsitz der Organisation islamischer Staaten; auch als Gastgeber internationaler Veranstaltungen wie der asiatischen Winterspiele, des Jahrestreffens der Europäischen Entwicklungsbank (EBRD) oder des internationalen Wirtschaftsforums in Astana unterstreicht Präsident Nasarbajew den Anspruch seines Landes als eigenständige Regionalmacht, die sich vom dominanten Nachbarn China absetzt.

Das vierte Astana-Forum im Mai  2010 war von 3.500 Teilnehmern aus 80 Ländern, darunter sieben Wirtschafts-Nobelpreisträgern, besucht worden. Auf dem Vorgängertreffen 2009 hatte Nasarbajew ein Konzept vorgestellt, das auch in China Sympathie genießt: die Ablösung des US-Dollars durch eine neue Welt-Leitwährung.

Selbstbewußt schickte Kasachstan zuletzt seinen Zentralbankpräsidenten Grigori Marschenko als Kandidaten der GUS-Staaten für die Nachfolge des zurückgetretenen Chefs des Internationalen Währungsfonds (IWF) Dominique Strauss-Kahn ins Rennen. Im Konzert der Schwellenländer, die gegenüber Europa und den USA auf mehr Mitsprache pochen, hat auch Zentralasien eine starke Stimme.

Foto: Blick über die Dächer Astanas: Der kasachische Staatschef Nursultan Nasarbajew präsentierte Angela Merkel 2010 die Hauptstadtsilhouette

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